Tiberis hat geschrieben:Bezüglich "antiqui" bin ich skeptisch. Gut, von der Metrik her ist es natürlich möglich, aber schon die "litteralen Spurenelemente", insbesondere jene, die auf das A folgen, sprechen nicht dafür. Und ja, der "poetohistorische Kontext" lässt zweifellos einen Bezug auf die Antike erkennen (Camoenae, Satyri...): umso unnötiger und die Eleganz des sprachlichen Ausdrucks geradezu störend wäre m.E. ein solcher zusätzlicher und wenig poetischer Hinweis auf die Antike.
Vor allem aber passen die Adjektive antiqui und lepidi nicht wirklich zu einander, auch im Kontext der übrigen Adjektiva (lepidi, lepidae, iucundi) ist antiqui gewissermaßen ein Fremdkörper. Und überhaupt, wie sollte man antiqui et lepidi sales verstehen bzw. übersetzen? antiker und feiner Humor? Also je mehr ich darüber nachdenke, desto unwahrscheinlicher scheint mir diese Konjektur. Aber eine plausiblere Alternative kann auch ich (noch) nicht anbieten...
Die Frage, ob "antiqui" im Epitaph Schleichs Sinn ergibt, kann man, glaube ich, mit Ja beantworten. Auch wenn es natürlich nur um Wahrscheinlichkeiten geht. Eine endgültige Antwort wird man erst finden, wenn sich der Originaltext zitiert in einem älteren Werk finden lässt.
(1) Die These heißt:
Schleich hat die "diatribisch-humorvollen" Poeme des Jesuiten Jacobus Balde übersetzt, zusammen mit Johannes Schrott, immerhin 45 Gedichte, meist der humorvollen Art. Die beiden Übersetzer wählen bewusst die Form trochäisch-jambischer Lyrik samt Reim, um den "normalen" Leser zu erreichen. Sie halten diese humorvollen Gedichte aus alten, früheren Zeiten für liebenswert und keinesfalls abgestanden.
Eines dieser Gedichte beschäftigt sich mit den Normen einer guten Grabinschrift. Schleich hat es übersetzt
Eben diese Beschäftigung mit und Wertschätzung von humorvoller Lyrik vergangener Zeiten ist es dem Autor Schleich wert, auf seinem Grabmal "verewigt" zu werden.
Nicht zuletzt auch wegen dem Paradox, dass er mit einer lyrischen Reminiszenz antikisierender Art den Abgesang für seine Person präsentiert und das Ende seiner Produktion konstatiert.
Und eben dieses poetologische Balde-Gedicht, eine Diatribe-Epistel zum Thema Grabinschriften, wird in Elementen von Schleich für sein Epitaph genutzt.
Hier im Anschluss Balde mit allen Strophen, dann Schleich.
(2) Original und Übersetzung:
Das folgende Gedicht Baldes, in dem es um die diatribisch-kritisch-satirische Auseinandersetzung mit der Intensität und Wirkungsmächtigkeit und Attitüde prunkvoll-brokatener Epitaphien geht, ist in Odenform gehalten. Jakob Balde schreibt an seinen Freund Petrus Altenhof und macht sich lustig über den pompösen Kult mit Epitaphien.
XVII. Ad Petrum Altenhofium. Auctor de mortuali pheretro [Reg: feretro] sibi prospicit: supervacaneam
Epitaphiorum curam irridet. Ode.
Quid? Si beatis mentibus afferi
Indulget Aether, Petre, Carystia
E rupe decisas sepulcri
Pyramides. Pariamque molem
Quaeremus umbris! Frangite marmora
Distincta venis: tollite lugubrem
Fastum, redundantesque pennas
Funeris, et titulos, Amici.
Offendor istis: Hic Iacet Armagra,
Mardo, Carallus. Vasco. Peronias.
Triumvir. Exconsul. Senator.
Consilio. Manibusque. Miles.
Ter. Ad Polonos. Ad Ligures. Quater,
Quater. Britannos. Missus. Ad ultimos.
Legatus extremum. Viennae.
Sole Diem. Moriente Clausit.
At ecce circum sequi pedalibus
Caelata signis, pendet imaginum
In gentis armorumque laudem
Pompa ferox, galeaeque et enses
Cristaeque et umbo: monte super tigris,
Supraque scutum vultur, et aurei
Caput coronatum leonis
In medio; Libyicique dentes.
Cervique cornu. Scilicet, ut sciam,
Fuisse nuper Pus generosius
Hac sede defossum. Facesse
Flebilium miserande luxus.
Odi sepultae murmura gloriae.
Foetent in urna grandia nomina.
Incestat et manes cadaver,
Quod sub humo putridum superbit.
Me, si paratum, Petre, iubentibus
Suprema Fatis hora citaverit:
Longam quidem, sed impolita
Sandapilam (Totenbahre) fabricabis orno (ornus, i; fem.: Berg-Esche).
A fronte scribes: Hic . Iacet. Alsata.
Poeta. Quondam. Non, sine. Laureis.
O vanitas! Expunge rursus.
Si iaceam satis est, quiete.
http://mateo.uni-mannheim.de/camena/bal ... a1_12.html
https://www.digitale-sammlungen.de/de/v ... ge=294,295
(Balde – ad Petrum Altenhofium, ganzes Gedicht)
Hier Schleichs Übersetzung:
(3) Deutung
An der Übersetzung und dem Original ist zweierlei bemerkenswert im Zusammenhang unserer Frage:
a) Schleichs Grabinschrift spielt offensichtlich mit den Baldeschen Vorgaben:
A fronte scribes: Hic . Iacet. Alsata.
Poeta. Quondam. Non, sine. Laureis.
O vanitas! Expunge rursus.
Si iaceam satis est, quiete.
[Antiqui] lepidique sales, lepidaeque Camoenae
Iucundique ioci, Satyri Saturaeque valete!
Quibuscum et saeculo valedixit
Illustris quondam vir Monacensis.
Dr. phil. Martinus Schleich
defunctus 13. Oct. 1881
natus 12. Febr. 1827
Qui hoc epigramma sibi fieri voluit:
Iacet. Tacet. Placet.
Das „quondam“ und das „illustris“ und der Herkunftsname „Monacensis“ referieren auf Baldes „quondam“, „non sine laureis“ und „Alsata“.
Baldes Schlusszeile „Si iaceam satis est, quiete.“ wird witzig in einem Trikolon „Iacet, tacet, placet“ aufgenommen, das an Caesars Ausspruch „veni, vidi, vici“ erinnern mag. Descriptiv in der 3. Person signalisiert die Zeile, der oftmals polemisch polternde Dichter, der nun ruhig ist und schweigt, finde eben deswegen den Gefallen der Öffentlichkeit.
b) So gesehen ist Schleichs Grabinschrift samt Valet
eben auch ein Abgesang auf die Beschäftigung mit Poemata aus alten, früheren Zeiten, deren "dignitas" eine "Renaissance" (Buchtitel) legitimieren konnte und kann.
Was meint ihr?