Folgende Überlegungen könnten Leitgedanken sein bei einer Übersetzung der ersten drei Zeilen des Epitaphs.
Paucis te moror.
Perlege viator.
In tumba brevi non licet mihi esse longum.
(1) Situative Einbettung der InschriftDie Grabinschrift befindet sich auf einer Grabplatte, eingelassen im Boden, unter der Salzburger Domkuppel. Nr. 14.
Die ersten drei Zeilen wollen den lateinkundigen Besucher zum Stehenbleiben und zum Lesen der Inschrift animieren. Der Autor arbeitet mit einer direkten Ansprache des „Wanderers“: „te moror“ und mit einer Art captatio benevolentiae: Es wirkt höflich, dass nur für eine kurze Zeit um Aufmerksamkeit gebeten wird. Nur wenige Worte („paucis“) hat der Adressat, wenn er denn will, durchzulesen („perlegere“).
Auf jeden Fall geht es um eine Lektüre, nur indirekt um das Anhören einer Stimme. Der „Sprecher“ aus der Gruft hat eben eine Inschrift angebracht. Schon visuell ist so für den Besucher erkennbar, dass die Bitte um ein wenig Aufmerksamkeit mit der Kürze der Inschrift zusammengehlrt.
Das hat dann auch Konsequenzen für Übersetzungsversuche der dritten Zeile: Der thematisierte Lesevorgang legt nahe, die Schriftlichkeit zu beachten:
(2) Probleme mit „Grab“, „Platte“ und „kurz“Knackpunkt „Lesevorgang“a) Die „tumba“ ist wohl hier nicht das Grab, sondern die Grabplatte. Als Träger der Schrift.
b) Die Botschaft ist allenfalls indirekt als Äußerung des toten Bischofs im Grab zu „vernehmen“.
c) Das macht es zwar möglich, scheint mir aber doch ein wenig bedenklich, Übersetzungen der freieren Art zu wählen, etwa
Im engen Grab ist es nicht erlaubt/möglich, sich breit zu machen. (Medicus Domesticus)
Im engen Grab ist es nicht möglich/erlaubt, weit auszuholen…. (Claudia)…Die Lesesituation tritt hier in den Hintergrund.
Knackpunkt „kurzes Grab“/kurze Platte Tiberis meint, die lateinnahe Übersetzung „Auf einer kurzen Grabplatte darf man nicht langatmig sein“ klinge etwas seltsam. Er macht das wohl vor allem an „kurze Grabplatte“ fest. Das bessere Deutsch für „brevis tumba“ sei eher bei „kleiner, enger, schmal“ zu suchen. Im Lateinischen sei ja „brevis“ nicht nur temporal und als „räumlich kurz/mit geringer Erstreckung“ zu lesen, sondern auch im Sinn von „beengt“. Dann aber hat man eben Schwierigkeiten, im Deutschen das Wortspiel mit „kurz vs lang“ nachzuspielen.
(3) Konstruktionen mit „Lesevorgang“, „Schrift“ und „kurz“ Iuris Consultus schägt vor: „Begrenztes Grab, begrenzte Inschrift.“ Das lässt sich umdeuten zu „Begrenztes Grab/Begrenzte Grabplatte erlaubt nur eine begrenzte Inschrift/erlaubt keine lange Inschrift.“
Nun hat medicus die Lese- und indirekte Redesituation noch schärfer gefasst mit „Lange Worte passen nicht auf eine kurze Platte.“ Und dabei die Zwänge des Worteträgers „Grabplatte“, sich kurz zu fassen, in der Übersetzung eingeschrieben. Weiter gedacht, was Marcus sagt:
(4) Das deutsche „kurz“ und seine mögliche Einbindung im vorlegenden FallDeutsche Formeln wie „im Volumen zu kurz“ wirken sehr holprig, offensichtlich hat unser „kurz“ das Konzept „in der Erstreckung/linear gesehen (zu) gering", „von geringer Ausdehnung, linear/in der Erstreckung gesehen“. Wenn also jemand einen „kurzen Körperbau“ hat, dann ist nicht sein Volumen gemeint, sondern eine gedachte Beobachtungslinie. Ein Text, der aus Wörtern und Setzen besteht, wird als Prosa auch linear von Anfang bis Ende durchgelesen, sodass hier eine räumliche und eine zeitliche Vorstellung linear konzipiert werden.So ist der Text denn ohne weiteres "kurz" zu nennen.
Dieses Proportionsschema lässt sich wahrscheinlich nutzen:
„Die Grabplatte ist zu kurz für langes Geschreibe/Geschreibsel.“
Besser umdrehen und gleich den linearen Schreibvorgang als Priming einsetzen. Dann ist es klar, dass die Grabplatte als Trägermedium zu kurz ist.
„Langes drauf zu schreiben, ( dafür) ist die Grabplatte zu kurz.“
Was meint ihr?