von cometes » Di 10. Sep 2019, 13:05
Irrungen, Wirrungen allenthalben und der Bumerang einer aufschlussreichen Zitatwahl: Die zum Kreuz Verurteilten leben noch, nehmen die bibelfeste Pilata beim Wort (Joh. 19, 22: Quod scripsi, scripsi) und wollen ihr Selbstverständnis, nicht den Urteilsspruch der Juden auf dem Titulus lesen. Angesichts der paradoxen Natur dieses wortwörtlich niet- und nagelfesten Beweises kann man schon einmal die Fassung verlieren. Die Folge? Das Spiel geht in die Verlängerung. Der Kampf ums letzte Wort führt halbwegs in die dramaturgische Salopperie oder nach Woody Allens Definition: Komödie ist Tragödie plus Zeit.
Zu den skurrilen Folgen der Ausweitung der Kampfzone zählt übrigens auch, dass der einzige, auf dessen rechtsextreme Gesinnung sich offenbar die Mehrheit hier verständigen kann, Gendernaut Vulpius, ausgerechnet (mutterseelenallein?) im Lager der deklarierten Befürworter eines Forum Hebraicum steht (oder besser stand). Bei solchen Parteigängern scheint es nur vernünftig, von der Bühne zu stolpern.
Humorlose Nachbemerkung:
Das theologische cherry picking, welches die schwer verdauliche Backmasse antimodernistischer Traktate* auf der Suche nach dem heiligen Gral erneuerter Spiritualität durch selektive Lektüre, d.h. Ignoranz bzw. notfalls artige Distanzierung entsorgen zu können glaubt, ohne sich die Frage nach möglichen Rezepturfehlern und unvermeidlichen Konsequenzen einer solchen Denkweise zu stellen, für welches Vorgehen allen Ernstes Wissenschaftlichkeit beansprucht wird, und den sarkastischen Hinweis auf die biographische Grundierung** des intellektuellen Helden dadurch aus der Welt zu schaffen meint, dass derlei euphemistisch als politische Verirrungen abgetan wird (wer im Dunkel der Weltgeschichte als kleine Leuchte unterwegs ist, dem kann das schon mal passieren), beansprucht offensichtlich unbegrenzte Unschuldsvermutung, während unliebsamer Widerstand gegen eigene Vorhaben sich augenblicklich dem Extremismusverdacht aussetzt und mit den Mitteln einer zeitgenössischen eristischen Dialektik in die Defensive gezwungen werden soll.
Klassischer Doppelstandard also, der die vorurteilslose Prüfung der gegnerischen Argumente scheut, sie als vorgeschoben diskreditiert und pauschal als Ausdruck einer verachtenswerten Gesinnung diffamiert. Dazu gesellen sich Selbstviktimisierung, Immunisierungsrhetorik und die strategische Vermengung mit Kritikpunkten, denen kaum einer hier ihre Berechtigung wird absprechen können, um so die Parteien gegeneinander auszuspielen.
Wo die Schmieden solcher "Disputierkunst" stehen, hat Pilata ja offenbart. Es gelüstet mich nicht wenig, dort nachzufragen, ob man sich wiedererkennt.
* Ingredienzien: inhärente Widersprüche, dogmatische Metaphysik, Favorisierung blinder Autoritätsgläubigkeit, antiökumenische Polemik, defizienter Rationalitätsbegriff, markige Naturalisierung des diesseitigen, im Licht des GG aber jenseitigen Verhältnisses von Staat und Kirche, ...
** Namentlich: Unterstützung des Vichy-Regimes einschließlich Judenpolitik, Beziehung zur Action française, Nachkriegskirchenpolitik - Der Philosoph Yves Simon an den Bergson-Schüler Jacques Maritain: "Waldemar Gurian aime à dire que si saint Thomas vivait aujourd'hui il serait pour Franco, pour Tiso, pour Pétain : c'est l'évidence. Saint Thomas, c'est Garrigou. Faire pratique en 1941 avec saint Thomas, en politique, c'est une plaisanterie." (Yves Simon: Philosophie du gouvernement démocratique, editions dbb (2015))
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