Die attische Demokratie

Fragen zur Geschichte und Archäologie des griechisch-römischen Altertums

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Die attische Demokratie

Beitragvon Medus » Sa 4. Nov 2006, 19:03

Hey, also ich schreibe bald in Geschichte eine Klausur über die attische Demokratie. Da ich mir ziemlich sicher bin, dass u. a. eine ähnliche Aufgabe, wie das Erörtren der Unerschiede zu unserer heutige Demokratie kommt, hab ich mir mal schon 'ne kleine Erörterung vorgeschrieben. :D

Würde gerne wissen, ob ihr vielleicht noch etwas hinzufügen oder entfernen würdet oder ob ich irgendwo vielleicht etwas Unlogisches oder Falsches gesagt habe!

Die attische Demokratie gilt als Wiege der Demokratie. Doch ist sie das? Und in welcher Beziehung stehen attische Demokratie und moderne Demokratie zueinander?
Die radikale attische Demokratie hat gravierende Unterschiede aber zum Teil auch einige Gemeinsamkeiten mit dem modernen Demokratiebegriff unter dem wir meist eine repräsentative Demokratie verstehen.
So sind ein Hauptpunkt bei den Unterschieden die menschenrechtlichen Defizite in der attischen Demokratie, denn Frauen und Sklaven waren von der Politik ausgeschlossen. Außerdem ist allein schon die Existenz der Sklaverei nicht mit unserer modernen Demokratie vereinbar. Auch eine Gewaltenteilung existierte im antiken Athen nicht, das Volk bestimmte direkt über jede zu fällende Entscheidung. Doch das Rotationssystem und die strenge gegenseitige Kontrolle der Instanzen sowie die Kontrolle des Volkes übernahmen ungefähr den Sinn der Gewaltenteilung, also das Verhindern von zu viel Machteinfluss einer Person oder Gruppe. Durch sie sollte also die erneute Entstehung einer Tyrannis, wie unter Peisistratos (um 607 bis 528), verhindert werden. Auch der Ostrakismos (Scherbengericht) diente zu diesem Zwecke. Einen weiteren Unterschied stellen die verschiedenen Demokratie-Systeme dar. So war die attische Demokratie eine radikale Demokratie, es war eine Herrschaft des gesamten Volkes und zwar in allen Angelegenheiten, während unsere Demokratie eine repräsentative Demokratie ist bei der das Volk Parteien wählt, die es vertreten sollen, also sich nicht selbst um alle Angelegenheiten kümmert. Aufgrund der Tatsache, dass das Volk in der Antike nicht in Gruppen organisiert war, bestand eine größere Gefahr von Demagogen beeinflusst zu werden, die in unserer heutigen Zeit viel geringer ist.
Doch neben den vielen Unterschieden gibt es auch einige Gemeinsamkeiten. So durften damals Metöken nicht an der Politik teilnehmen, heute dürfen das Ausländer ebenfalls nicht. Außerdem sind die Ideen der Freiheit und Gleichheit, eleutheria und isonomia, ebenfalls Bestände beider politischen Systeme. Des Weiteren ist das Wesen des Systems, die Idee einer Macht des ganzen Volkes und somit der Abschaffung der Monarchie, Oligarchie, Aristokratie und ähnlicher Systeme bei denen nur bestimmte Gruppen das Sagen haben, beiden gleich. Somit stehen beide Demokratie-Systeme in enger Beziehung zueinander.
Unsere heutige Demokratie hat sich aus der Attischen entwickelt. Denn aufgrund der wachsenden Einwohnerzahl und der Komplexität in allen Bereichen, etwa politischen und juristischen, konnte unmöglich das ganze Volk jede Entscheidung fällen bzw. mussten kompetente Personen für die jeweiligen Aufgaben gefunden werden – die radikale Volksherrschaft war nicht mehr möglich, es entwickelte sich also eine Repräsentative. Die neuen Gesetze, Frauenwahlrecht, Abschaffung der Sklaverei etc., entwickelten sich aus den neuen Wertvorstellungen. Unter Beachtung dieser Aspekte kann man also sagen, dass die attische Demokratie in enger Beziehung zu unserer steht, denn sie ist die Wiege aus der das Neugeborene (die attische Demokratie) sich – von unserer heutigen Zeit aus betrachtet – zum reiferen Erwachsenen (der modernen Demokratie) entwickelt hat.

Übrigens: Den Schluss (letzer Absatz: "Unsere heutige Demokratie ...") ist meine Schlussfolgerung aus dem Ganzen (habe kaum Meinungen kompetenter Personen dazu gefunden) - habe aber schon von machen gehört, die das nicht so sehen würden? Was meint ihr?
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Beitragvon Medus » Sa 4. Nov 2006, 19:12

Übrigens: Was passt in dem Zusammenhang oben besser für Freiheit: eleutheria oder autonomia?

Gruß
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Beitragvon consus » Sa 4. Nov 2006, 19:47

Salve, Mede!

Hilfe zur eigenen Entscheidung:

autonomia: „of a state, freedom to use ist own laws, independence“ (Liddell-Scott, A Greek-English Lexicon, Oxford 1966, p. 281)

eleutheria: „Freiheit in allen Beziehungen, von dem Zustande ganzer Staaten u. des freien Bürgers“ (Passow, Handwörterbuch der griechischen Sprache Leipzig 1847, I 2 p. 871)

Feliciter!

:)
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Beitragvon Medus » Sa 4. Nov 2006, 20:42

Okay, danke. Werde es mir noch überlegen.

Gruß
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Beitragvon juergen » So 5. Nov 2006, 13:20

Vielleicht wäre es aus Gründen der Symmetrie sinnvoll von "autonomia und isonomia" zu sprechen, statt von "eleutheria und isonomia". In beiden steckt das Wort "nomos" (Gesetz) drin: einmal verbunden mit "auto-" (selbst) und einem mit "iso-" (gleich). Durch die Wahl von "autonomia und isonomia" würde deutlich, daß beides was mit dem Gesetz zu tun hat.

Nur so ein Vorschlag....
Gruß Jürgen

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Beitragvon Medus » So 5. Nov 2006, 14:07

Ja, das habe ich mir auch gedacht. Allerdings hört sich für mich "freedom to use its own laws" irgendwie nach Anarchie an. :P

Übrigens (@ all): Wie steht's mit dem Text an sich? :smile:
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Beitragvon consus » So 5. Nov 2006, 18:47

Autonomie, optime Mede, hat zunächst nichts mit Anarchie (An-archie = Herrschaftslosigkeit) zu tun, könnte aber dazu führen...

Auto-nom ist ein Staat, wenn er sich selbst Gesetze geben kann: Selbstgesetzgebung.
Unter Hetero-nomie leidet er u.U., wenn eine fremde Macht ihm Gesetze oktroyiert: Fremdgesetzgebung.

:)
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Beitragvon pavement » So 5. Nov 2006, 19:34

ich beiße mich irgendwie an dem satz:

Unsere heutige Demokratie hat sich aus der Attischen entwickelt.


wenn dann: in auseinanderstzung mit der attischen entwickelt, aber selbst das würde ich verneinen, bei den demokratietheoretikern der neuzeit spielt die römische republik eine größere rolle als athen.

was ich auch noch für erwähnenswert halte, ist das lossystem: wahl wurde als nicht vereinbar mit der demokratie angesehen (eine ausnahme ist freilich das strategenamt).
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Beitragvon Medus » So 5. Nov 2006, 20:34

Salve!

Aber conse, wenn ein Staat autonom ist, wenn er sich selbst Gesetze geben kann, ist dann ein Mensch nicht auch autonom, wenn er sich selbst Gesetze geben kann (=> Anarchie)? Oder bedeutet "autonomia" in Bezug auf Menschen etwas anderes als auf Staat?

Salve pavemente,
danke für deine Meinung/Info und natürlich den wichtigen Zusatz, den ich total vergessen habe (neben den Strategen wurde auch bei Berufen, die Sachkenntnis erfordern, gelost - z. B. Architekt, Straßenbauer etc.)!

"in auseinanderstzung mit der attischen entwickelt"

Stimmt, wäre besser!

"bei den demokratietheoretikern der neuzeit spielt die römische republik eine größere rolle als athen."

Hm, habe leider keinerlei Literatur diesbezüglich gelesen, aber frage mich wieso. Allein schon die Übernahme des Begriffs Demokratie spielt auf Athen an. Könntest du, wenn es nicht zu aufwendig ist, ganz kurz erklären, wieso?

Vale!
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Beitragvon consus » So 5. Nov 2006, 21:13

Nach KANT, optime Mede, beruht die Sittlichkeit des Menschen darauf, dass er dem kategorischen Imperativ, also dem Gesetz folgt, das ihm die Vernunft gibt, deren er wie alle anderen vernunftbegabten Wesen teilhaftig ist. Darin besteht die für die Moralität grundlegende Autonomie des Menschen. Wenn ein Mensch staatlich verordneten Gesetzen folgt, büßt er nur dann seine Autonomie ein, wenn diese Gesetze im Widerspruch zu dem stehen, was der kategorische Imperativ von ihm verlangt. Nach KANT darf der sittliche Wille der autonomen Einzelpersönlichkeit nicht mit Anarchie in Verbindung gebracht werden. Das moralische Gesetz ist allgemeingültig für alle vernunftbegabten Wesen. Es darf also nicht jeder "sein eigenes Süppchen" kochen.
:)
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Beitragvon Medus » So 5. Nov 2006, 22:43

Alles klar! Danke, optime conse! :smile:
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Beitragvon juergen » Mo 6. Nov 2006, 10:16

consus hat geschrieben:...Wenn ein Mensch staatlich verordneten Gesetzen folgt, büßt er nur dann seine Autonomie ein, wenn diese Gesetze im Widerspruch zu dem stehen, was der kategorische Imperativ von ihm verlangt....

...was aber voraussetzt, daß der Gesetzgeber "richtige" Gesetze, i.e. Gesetze, nicht im Widerspruch zu dem stehen, was der kat. Imperativ verlangt, erlässt.
Ob das in der Realität so ist.... nun, daran habe ich manchmal meine Zweifel. ;-)
Gruß Jürgen

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Beitragvon consus » Mo 6. Nov 2006, 10:30

Richtig gesehen, juergen honoratissime! Aber diese Problematik führt zu einer neuen Diskussion (ziviler Ungehorsam, Widerstandsrecht u.dgl.), die an einem anderen Ort erfolgen müsste.
:)
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Beitragvon pavement » Fr 10. Nov 2006, 18:16

(neben den Strategen wurde auch bei Berufen, die Sachkenntnis erfordern, gelost - z. B. Architekt, Straßenbauer etc.)!


nein, eben nicht gelost!

"in auseinanderstzung mit der attischen entwickelt"

Stimmt, wäre besser!

"bei den demokratietheoretikern der neuzeit spielt die römische republik eine größere rolle als athen."

Hm, habe leider keinerlei Literatur diesbezüglich gelesen, aber frage mich wieso. Allein schon die Übernahme des Begriffs Demokratie spielt auf Athen an. Könntest du, wenn es nicht zu aufwendig ist, ganz kurz erklären, wieso?


ich denke vor allem an rousseau (auch wenn der in einer ziemlich frühen schrift athen und sparta miteinander verglichen hat; ich denke eher an den "contrat social", und da spielt das - freilich etwas anders als heute gedeutete - römische beispiel die dominierende rolle) und montesquieu. bei locke bin ich mir nicht mehr ganz sicher, aber ich ich glaube nicht, dass locke sich mit griechenland auseinandersetzt. die genauen stellen habe ich leider jetzt nicht. das antike griechenland als anreger für demokratietheorie sehe ich ab dem 18. jahrhundert mittelt über die ästhetische debatte (winckelmann), die dann - ich denke vor allem an hegel - in den politischen diskurs übertragen wird.

man kann übrigens den einfluss des römischen vorbilds auch in der französischen revolution sehen (nicht nur der begriff des konsulats!). von griechenland spricht ja, jedenfalls meines wissens, keiner, und wenn doch, dann ist rom dennoch um einiges präsenter.

mit dem begriff sprichst du eine interessante frage an. man müsste schauen, wann der in der diskussion im heutigen gebrauch auftaucht. auch hier wäre vor allem die französische revolution ein (möglicher) einsatzpunkt. ich erinnere mich vor allem an einen zentralen begriff in der politischen debatte der aufklärung (wobei ich hier sagen muss: das ist ein persönlicher eindruck, meine lektürebasis ist auch nicht besonders groß, und nicht alles, was uns heute wichtig erscheint, bestimmte damals die diskussion): republik (was dieser begriff bei den einzelnen theoretikern bedeutet, da kann ich jetzt nicht drauf eingehen). und der erinnert wieder an rom.

über das wieso kann ich nur vermutungen anstellen - aber auch eine interssante frage. möglicherweise hängt das auch mit mangelnden griechischkenntnissen zusammen - wer konnte schon griechisch? rousseau jedenfalls nicht, der hat plutarch in französischer übersetzung gelesen (aber das zeigt immerhin, dass griechische schriftsteller bekannt waren; warum beeinflusste das athenische beispiel dennoch nicht die diskussion? eine weitere vermutung: man wusste einfach viel zu wenig über die athenische demokratie. das hing vielleicht auch mit den quellen zusammen. ich denke hier etwa an die athenaion politeia, die ja erst um 1900 oder so ähnlich entdeckt wurde).
Zuletzt geändert von pavement am Fr 10. Nov 2006, 18:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon pavement » Fr 10. Nov 2006, 18:50

aus dem "etymologischen wörterbuch" von kluge entnehme ich folgende information: im 16. jahrhundert entlehnt aus gr. demokratie; diese herrschaftsform wird von den griechischen denkern eher kritisch betrachtet, ist dann in der neuzeit ein zunächst ziemlich theoretisches konzept, das nach der französischen revolution immer stärker zu einem zentrum des politischen denkens wird.
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