Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprache

Für alle Fragen rund um Latein in der Schule und im Alltag

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Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprache

Beitragvon mystica » Fr 24. Mai 2024, 16:49

Norbert Lang diskutiert mit
Dr. Marcel Humar, Philologe und Fachdidaktiker, Berlin
Prof. Dr. Michael Lobe, Lateinlehrer und Philologe, Melanchthon-Gymnasium Nürnberg
Prof. Dr. Elsbeth Stern, Psychologin, ETH Zürich


Die Sendung kann unter diesem Link nachgehört werden:

https://www.swr.de/swrkultur/leben-und- ... 8-100.html
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon Tiberis » Mo 27. Mai 2024, 22:37

Ich weiß nicht, was ich von solchen Diskussionen halten soll, in denen sich die Apologeten des Latein trotz aller klugen Argumente nicht anders verhalten als Marktschreier, die mit umgehängtem Bauchladen ihre Ware anpreisen. Dieses Geschäftsmodell funktioniert schon deshalb nicht, weil in einer Zeit, in der allen Ernstes darüber diskutiert wird, ob man statt Latein nicht doch besser Gebärdensprache als Unterrichtsfach einführen solle, die einzige "Ware", die wir im Angebot haben, nämlich Bildung, weder nachgefragt noch überhaupt gewollt wird. Es ist gleichermaßen bezeichnend wie traurig, dass gerade das Fach Latein, das wie kein anderes tatsächlich Bildung vermittelt, sich ständig genötigt sieht, seine Existenz mit allen möglichen gut gemeinten Argumenten zu rechtfertigen, die naturgemäß bei den politischen Entscheidungsträgern kaum Gehör finden. Der politische Zeitgeist, um es in aller Deutlichkeit zu sagen, ist an wahrer Bildung, die mit der Freiheit des Individuums untrennbar verbunden ist, überhaupt nicht interessiert, weil er auch kein Interesse an freien, mündigen und kritischen Bürgern hat. Leider sind sich die Apologeten des Latein dieser Tatsache nicht bewusst und versuchen deshalb, sich diesem politischen Zeitgeist anzubiedern, was naturgemäß scheitern muss. Da wird dann irgendwas von "interkultureller Kompetenz" dahergeredet, die das Fach Latein angeblich vermittelt, und man wundert sich dann auch noch, wenn die Gegenseite ins Treffen führt, dass zur Erlangung dieser interkulturellen Kompetenz andere Fächer ebenso gut geeignet seien.
Wie es ja überhaupt bezeichnend ist, dass , während von "interkultureller Kompetenz" dahergeschwafelt wird, das Verständnis für die eigene Kultur und deren antike Wurzeln ganz offensichtlich gering geachtet wird.
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon ClaudiaK » Di 28. Mai 2024, 14:19

Die Argumente sind nicht wirklich neu. Und mehr zu sagen, als die angeführten Pros und Contras, habe auch Ich nicht. Fakt jedoch ist: Seit mindestens 50 Jahren gibt es den Rechtfertigungsdruck auf die lateinische Sprache, sich als Unterrichtsfach fortproduzieren zu dürfen. Fakt ist auch, dass alle Schüler von damals, die ihren Unterricht überflüssig bis gänzlich horrormäßig fanden, inzwischen Erwachsene sind und längst die Möglichkeit hätten, Latein als Unterrichtsfach abzuschaffen, um es ihren Kindern zu ersparen. Warum gibt es ihn also noch? Ist das Fach noch nicht abgeschafft, weil die Lehrer hartnäckig ihre Stellen rechtfertigen und verteidigen? Wohl nicht. Die meisten könnten ihr Dasein mit dem anderen Fach bestreiten.
Welche Langzeitwirkung hat Lateinunterricht? Welcher Denksamen geht da nachträglich dem einen oder anderen Lateinschüler auf? Ich lege im Folgenden einmal meine bisher gesammelter Erkenntniskrumen dar.
Eine erste Beobachtung ist, dass Schüler ihr Freizeitwissen zwar gerne anwenden, um bei Gleichaltrigen zu flexen. Beachtlich dabei: Das Kindergehirn hat an die 500 (!) Pokemonnamen abgespeichert, plus der dreistufigen Entwicklung, die das einzelne Pokemon durchläuft, bis es seine ganze Kraft entfaltet. Ich kenne gerade mal PIKACHU. Fragt mal ein Kind, das Pokemonfan ist, das hält euch für grenzdebil, wenn ihr ausschließlich diesen einen Namen kennt!
Aber als Erwachsene andererseits wissen diese Kinder genau, dass sie mit Pokemons und der Optimumzeit im Mariospeedrun keine Torte mehr anschneiden können. (Außer bei den Grenzdebilen.) Sehr wohl aber mit der Aufzählung der Heldentaten des Herakles, Ablabsen oder dem Zeitraum sowie dem ersten Satz von De bello gallico.
Eine zweite Beobachtung: Es scheint, dass mit forschreitendem Alter das Bedürfnis nach Verwurzelung, der Wunsch nach Kenntnis der eigenenen Geschichte und Kultur und ein gewisses Geschichtsbewusstsein heranreift, dass so in der Schule nicht absehbar und zu erhoffen war. Es entwickelt sich eben erst dann, wenn die Entwertung des eigenen Wissens durch eine Folgegeneration droht. Mal ehrlich, es interessiert niemanden der heutigen Nintendogeneration mehr wie brillant ich damals in Minesweeper und Solitär war.
Da ich aber schlecht im Mariospeedrun bin, werte ich die Disziplin als irrelevant ab und rette mich auf ein Terrain, auf dem ich definitiv besser bin: AcIs erkennen. Hah! Bäm! Und ein paar Hausinschriften kann ich auch entziffern. So was macht Erwachsene sicher. Das gibt ihnen ihre Überlegenheit zurück, hier ist generationsübergreifendes und -verbindendes Wissen am Werk, hin zu dieser ewig scheinenden Sonne muss das Gemüsse erstmal wachsen! Egal wie mau jene Erwachsenen damals in Latein waren: Das Fach bleibt! ;-)
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon mystica » Di 28. Mai 2024, 17:18

Tiberis hat meiner Meinung nach vollkommen recht, dass man in diesem Podcast nicht viel Neues über den Sinn und Zweck von Latein an den Gymnasien erfährt. Diese endlose Diskussion wird ja auch schon seit der 68er-Studentenrevolte geführt, die das Fach Latein als zutiefst reaktionär brandmarkte, was sich bis heute verheerend auf die Legitimität des altsprachlichen Unterrichts an den Schulen auswirkte, sodass immer wieder die Fächer Latein und Altgriechisch in Zweifel gezogen werden. Denn bis heute wird eine Debatte über das Schulfach Latein und Altgriechisch in ihrem Für und Wider geführt, die immer noch nicht zu einem zufriedenstellenden gesamtgesellschaftlichen Konsens gefunden hat. Die meisten Argumente im Pro und Contra des Lateinunterrichts sind zwar hinlänglich bekannt, haben aber anscheinend keine große Überzeugungskraft, um diese Frage grundsätzlich zu entscheiden. Auch darin stimme ich Tiberis zu, dass kein anderes Schulfach wie Latein andauernd um seine Anerkennung auf dem Lehrplan kämpfen muss. Niemand käme nämlich zum Beispiel auf die Idee, Kunst beziehungsweise Kunstgeschichte als Bildungsziel infrage zu stellen.

Die wahren Gründe für die tiefgreifende Krise des Faches Latein wurden meiner Meinung nach in diesem Podcast gar nicht thematisiert: Die westlichen Gesellschaften durchlaufen einen irreversiblen Transformationsprozess, der durch einen allgemein zu beobachtenden Wertezerfall der europäischen Kultur gekennzeichnet ist. Latein ist deshalb mit seinen geschichtsträchtigen Wurzeln in der römischen Antike, im christlichen Mittelalter und in der Renaissance des Humanismus nur noch ein Artefakt längst vergangener Zeiten, das nur noch sehr wenige Menschen unserer Tage begeistert, die sich mit der alten Kultur Europas noch verbunden fühlen und Latein und Altgriechisch eifrig pflegen. Da nützt es auch nichts, wenn heutige Lateindidaktiker die Lateinbücher für die Schülerschaft mit krassen Bildanimationen attraktiver gestalten und lateinische Textauszüge über Sklaverei aus der römischen Antike von dem stoischen Philosophen Seneca oder Plinius dem Jüngeren dekonstruieren, damit diese sperrigen Texte im Lichte der Gegenwart von den Schülern interpretiert werden. Denn die Schülerschaft hat meist schon genug damit zu tun, diese anspruchsvollen Texte, die von einer römischen Elite verfasst wurden, zu übersetzen.

Der Lateinunterricht an den Schulen scheint mir nur eine Zukunft zu haben, wenn Latein auch als Konversationssprache an den Schulen eingeführt und nicht mehr nur als Reflexionssprache angesehen wird. Denn wenn die Schüler beginnen, Latein zu sprechen, verinnerlichen sie die lateinischen Vokabeln und die Grammatik viel besser, sodass sie dann auch die ellenlangen Satzperioden eines Ciceros leichter durchschauen und übersetzen können. Vivat lingua Latina viva! :)
Zuletzt geändert von mystica am Mi 29. Mai 2024, 10:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon ClaudiaK » Di 28. Mai 2024, 18:49

mystica hat geschrieben:Der Lateinunterricht an den Schulen scheint mir nur eine Zukunft zu haben, wenn Latein auch als Konversationssprache an den Schulen eingeführt und nicht mehr nur als Reflektionssprache angesehen wird.


Die (unterrichts)methodischen Herangehensweise zu ändern, das reicht meiner Meinung nach nicht als (didaktischen) Begründung aus, warum weiterhin Latein gelernt werden soll. Eltern und Schüler fragen weiterhin, warum man Latein lernen, warum man es sprechen können soll.

Es mag so etwas wie eine Werteerosion geben. (Vielleicht liegt es aber auch an der Abschaffung der Prügelstrafe, dass Schüler freimütiger ihren Unwillen äußern.) Aber ich sehe keinen Zusammenhang zwischen Erosion irgendeines Wertes mit dem Rückgang der Lateinlerner.
Die von mir persönliche hoch gehaltenen und praktizierten Werte sind Freundschaft und Zuverlässigkeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr Fehlen die Ursache eines Desinteresses meinerseits an der Sprache sein könnte.

Im Gegenteil: Mein Gefühl der Verpflichtung gegen andere lässt regelmäßig meine Sprachfortschritte stocken. Und um es zu übertreiben: Diese Sprache zu können fordert vom Lerner Selbstdisziplin, Einzelgängertum und Abschottung. Sich intensiv dem Erlernen der Sprache hinzugeben ist also ein größerer zwischenmenschlicher Werteverrat als es nicht zu tun. ( Auch wenn ich einräume, dass es bei manchen Menschen besser ist, wenn sie durch ein hohes Lernpensum aus dem Verkehr gezogen bleiben.)

Daher bitte ich dich, Mystica, genauer zu benennen, welche Werte fehlen, deren Rückführung in die Gesellschaft ein Wiedererstarken eines Interesses an Latein fördern könnte. :sad:
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon ClaudiaK » Di 28. Mai 2024, 19:22

mystica hat geschrieben: Niemand käme nämlich zum Beispiel auf die Idee, Kunst beziehungsweise Kunstgeschichte als Bildungsziel infrage zu stellen.


Stimmt. Denn die Meinung steht hier bereits mehrheitlich fest. Die Irrelevanz des Faches für die Persönlichkeitsentwicklung ist bereits derart zementiert, genauso wie auch die des Faches Musik, dass die Unterrichtsausfälle medial undiskutiert hingenommen und akzeptiert werden. Dafür gibt es jetzt Medien und Kommunikation oder ähnlich Bezeichnetes als gewichtigeres Fach mit Dramapotenzial bei entsprechenden Ausfällen.
Zuletzt geändert von ClaudiaK am Do 30. Mai 2024, 19:17, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon marcus03 » Di 28. Mai 2024, 19:34

Der politische Zeitgeist, um es in aller Deutlichkeit zu sagen, ist an wahrer Bildung, die mit der Freiheit des Individuums untrennbar verbunden ist, überhaupt nicht interessiert, weil er auch kein Interesse an freien, mündigen und kritischen Bürgern hat.

Da stimme ich dir ganz und gar zu.
Wer kritisch denkt, stellt viele unangehme Frage bis hin zur Infragestellung des Systems,
das immer fragwürdiger wird und es allenthalben Systemversagen gibt.
Systeme wollen sich primär selbst erhalten, auch wenn sie vielfach überholt sind und der ökonomische
Druck weiter steigt bis zur Unfinanzierbarkeit auf lange Sicht (Gesundheit, Rente, Sanierungen in
öffentlichen Netzen, Pflegebereich u.a.)
Der Kollaps steht in einigen Bereichen bevor, es wird reine Flickschusterei betrieben und nur auf Sicht
gefahren, weil keiner mehr eine klare Richtung kennt/ kennen kann.
Alles läuft aus dem Ruder, Sachzwänge und ökonomische Rücksichten engen extrem ein.
Longum quidemst.
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon ille ego qui » Di 28. Mai 2024, 20:30

Claudia K. hat geschrieben:Diese Sprache zu können fordert vom Lerner Selbstdisziplin, Einzelgängertum und Abschottung.


Allerdings sind die besten Lateiner:innen, die ich persönlich kenne, zu einem großen Teil solche, die es zumindest zeitweise intensiv in anregenden Gemeinschaften gesprochen haben (Literaturstudium kam natürlich meist dazu).

Ich denke z.B. ans Vivarium Novum in Italien, wo man Texte gemeinsam auf Latein bespricht und wo sich auch die ganz Freizeit auf Latein abspielt. Was dieses Institut jedes Jahr an erstklassigen Lateinern hervorbringt, ist unvergleichlich!

Bitte schaut mal in dieses Video rein:
https://www.youtube.com/watch?v=eEGS8wi9Tj8

:-)
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon Sapientius » Mi 29. Mai 2024, 10:26

Ich habe den Eindruck, dass die Menschen heutzutage sich nicht mehr wir früher mit dem lateinischen Erbe identifizieren können, bis 1918 (oder 1945?) konnte man sich in der Nachfolge von Kaiser Augustus sehen, das perikleische Athen und das augusteische Rom stellten Leitbilder dar, zu denen amn aufschauen konnte; noch bis 1990 konnte man sich gegen die Barbarei des Stalinismus auf die Tradition berufen; aber mit dem DiaMat ist anscheinend sein Gegenbild auch untergegangen.
In unserer Tradition war der "Klassizismus" herrschend, man schaute auf die großen Vorbilder und kam sich arm vor.
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon Sapientius » Do 30. Mai 2024, 08:06

... während von "interkultureller Kompetenz" dahergeschwafelt wird, ...


Tiberis, wir müssen so schwafeln, wir fürchten ja das Schreckgespenst der lateinlosen Schule, wir müssen neben den starken Sprachen D und E unser L mit einem gleichrangigen Angebot ins Rennen schicken, wir müssen Wissenschaftspropädeutik machen, die Schüler zur Studierfähigkeit hinführen, ihnen beibringen, wie man argumentiert, begründet, Stellung nimmt, einordnet, vergleicht, analysiert, widerlegt ...
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon marcus03 » Do 30. Mai 2024, 14:45

Sapientius hat geschrieben: die Schüler zur Studierfähigkeit hinführen, ihnen beibringen, wie man argumentiert, begründet, Stellung nimmt, einordnet, vergleicht, analysiert, widerlegt ...

Bei wieviel % der Schüler ist das wirklich möglich?

https://rp-online.de/nrw/hochschulen/st ... d-90032383

https://berufsbildung2030.ch/images/pdf ... otiz_D.pdf
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon ille ego qui » Do 30. Mai 2024, 18:08

Ein Studium abzubrechen, ist zunächst aber mal keine Schande :)
Und „die Jugend von heute“ allzu schwarz zunmalen, schmeckt mir auch nicht so gut ;-)
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon marcus03 » Do 30. Mai 2024, 19:20

Erschreckender ist dies:

https://www.dak.de/presse/bundesthemen/ ... veau_54000

https://www.sdk.de/news/artikel/immer-m ... d-lehrern/

ille ego qui hat geschrieben:Ein Studium abzubrechen, ist zunächst aber mal keine Schande

Natürlich nicht, lieber aufhören als sich durchquälen und Schulden anhäufen.
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon Ioscius » Sa 1. Jun 2024, 18:07

Ohne mir jetzt den Podcast angehört haben und die anderen Überlegungen zu berücksichtigen möchte ich nur meine eindimensionale, aber viel grundlegendere Sicht als „Assessor“ mit der Kombi ‚Klassische Philologie‘ geben, der aufgrund der exotischen Kombination keine Stelle bekommen hat:

In meiner Referendarzeit habe ich erlebt, wie selbst in einem humanistischen Gymnasium mit Hochbegabtenzug v.a. auch die sprachlichen Kenntnisse und Anforderungen stark abgenommen haben (im Vergleich zu meinen Schulerfahrungen knapp 10 Jahre davor – und ich war in keinem Hochbegabtengymnasium). Ich erinnere mich noch, wie Tiberis, mit dem ich rund 15 Jahre in Freundschaft verbunden bin, über so manche Sprachkenntnisse der Schüler gestaunt hat. Ich hatte bspw. einen Test mit einer Note 4 bewertet (mit viel Wohlwollen, weil die Bewertungsskala so wenig anspruchsvoll ist). Tiberis meinte auch, das wäre für ihn eine glatte 6 (womit er ja auch „eigentlich“ Recht hatte). Meine Mentorin hingegen meinte, der Test sei von mir wenig wertschätzend korrigiert.. aber was soll man machen, wenn eigentlich nichts richtig ist und vielleicht nur die Endungen hingekritzelt werden..

Das sollte kein Schülerbashing werden, ich wollte nur den Einwand zu denken geben: Wenn selbst so wenig Wert auf das Sprachverständnis gelegt wird (ein Fachdidaktiklehrer an der Uni meinte einmal, Latein sei nun hauptsächlich dazu da, deutsche Grammatik beizubringen), dann muss man sich auch nicht über den Rest wundern. Und wenn gleichzeitig seitens der Politik wenig wertschätzende Äußerungen über Sprache gemacht werden (nun aktuell dazu: https://www.spiegel.de/panorama/bildung ... 26c76349c5) , dann wundert einen wenig.. Wenn Sprachverständnis in Grundzügen nicht vorhanden ist, dann sind die Schüler meist auch wegen anderer Vorzüge/Facetten des Fachs demotiviert.

Wenn man Schüler für die kulturellen Themen und alles andere, eben die Realienkunde, packen will, wird man wahrscheinlich schrittweise in Richtung dazu übergehen, L zu einem reinen Realien- und Interpretationsfach zu machen, wie es m.E. in den USA, zumindest an den Unis, praktiziert wird: Ein reines Arbeiten mit Übersetzungen. Dieser Schritt bahnt sich ja schon an: Dichtung wurde bei uns schon nicht mehr übersetzt, sondern bspw. die Äneis wurde nur noch anhand einer Übersetzung interpretiert.
Zugunsten der immer wichtiger werdenden Natur- und Wirtschaftswissenschaften kann man wahrscheinlich froh sein, wenn die Fächer überhaupt noch bestehen bleiben – in welcher Form auch immer.

PS: Warum ich die Sprache als Bedingung so stark machen will: Ich sehe die Tendenz ja auch in anderen Bereichen. In dem Studiengang, in dem ich jetzt bin (ein Mix aus Jura und Wirtschaft), wird hauptsächlich Wert auf das Mathematische gelegt.. Das begann schon mit dem Zulassungstest: Während vor einigen Jahren noch ein Diktat dazugehörte, ist es jetzt nur noch logischen Denken, räumliches Vorstellungsvermögen und mathematische Kenntnisse. Rechtschreibung war in Bezug auf das Allgemeinwissen irrelevant.
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Re: Latein am Ende? Über die Zukunft einer vergangenen Sprac

Beitragvon marcus03 » So 2. Jun 2024, 10:57

möchte ich nur meine eindimensionale, aber viel grundlegendere Sicht als „Assessor“ mit der Kombi ‚Klassische Philologie‘ geben, der aufgrund der exotischen Kombination keine Stelle bekommen hat:

Welche Kombination meinst du?
Bist du mit BWL schon fertig?
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