Frage zu Tempus / Modus bei Seneca

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Re: Frage zu Tempus / Modus bei Seneca

Beitragvon Sokrates » Do 27. Apr 2023, 14:56

Salve, optime Sapienti,

ad rem: Sicher ist der Konditionalsatz ein inhaltlich wichtiger Bestandteil für den ganzen Gedankengang, aber syntaktisch hängt er nur vom posse-Teil ab. Trotzdem ist er grammatisch eben ein eigener Gliedsatz. Noch dazu steht er nach dem AcI, seine Rolle als logisches Antecedens wird aus der Wortstellung nicht deutlich. Die Stellung aber ist klar von pragmatischen Kräften, hier dem Streben nach einer möglichst effizienten Informationsstruktur, getrieben. Denn in Endstellung liegt der entsprechende Nachdruck auf für die eigentliche Aussage der gar nicht so beschwerlichen Existenzsicherung geltende Bedingung.
Die von dir vorgeschlagene logische Betrachtungsweise würde den natürlichen Satz „b, wenn a“ erst auf „wenn a, dann b“ bringen, also als eine materiale Implikatur einordnen, in der in der Tat die eigentliche Bedeutung, d.h. der Wahrheitswert, nur aus eben der bedingenden Verbindung berechenbar wird. Die sehr lange herrschende, aber ungenügende Assoziation von wenn-dann Gefügen mit aussagenlogischer Implikation wurde um die Betrachtung mit modalen Operatoren erweitert, sodass die Protasis eine einschränkende Voraussetzung ist für die Menge aller Welten, in denen die Apodosis gilt. Nur für die Welt, in der A wahr ist, ist der Wahrheitswert von B zu berechnen.

Viel eher schon sehe ich gerade syntaktisch eine Einheit in den Teilen „HS“ und AcI, der wirklich auch von den Römern als embedded construction empfunden worden sein muss, wenn man Modus-und Tempusgebung sowie Pronominalverwendung betrachtet. Dann wird ein Gedanke zu einem abhängigen/“fremden“ Gedanken, wie bei der epistemischen Modalität typisch, das heißt man fokussiert auf ein die Aussage einer anderen Wissensinstanz oder die eigene Meinung ausdrückenden Partizipanten. Die Markierung der Evidentialität geschieht dabei auf verschiedene Arten (Konjunktiv, Reflexiva, Infinitiv).

Ich teile deine Einschätzung bezüglich der unilateralen Ignoranz nicht.
Die Logik in verschiedenen Formen ist Grundlage der formalen Semantik, welche etwa neben strukturalistischer und kognitiver eine der großen Richtungen der Semantik ist, welche wiederum elementarer Bestandteil der Linguistik ist, welche heute die Grundlage der Philologie ist.
Nur ist offensichtlich, dass bei konkreten Fragestellungen in Bezug auf eine Textstelle die traditionelle Herangehensweise, also die Analyse mit Werkzeugen der deskriptiven Grammatik in uns allem bekannten Sinne der erste Schritt sein muss. Die Beschreibung und Erklärung natürlicher Sprache hat naturgemäß den größten Einfluss auf die Arbeit der Philologie, während Logiksprachen in mengentheoretischer Sicht den Wahrheitswert von Propositionen (letztlich in „allen möglichen Welten“) bestimmen und Programmiersprachen dann Rechneroperationen festlegen. Dass man beim Übersetzen ständig zwischen bottom-up und top-down oszilliert, Analyse und Synthese sich beim Translations- und auch schon muttersprachlichen Rezeptionsprozess abwechseln, ist richtig, aber jedem Schüler, der eine Fremdsprache lernt, unmittelbar klar.



Liebe Grüße
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Re: Frage zu Tempus / Modus bei Seneca

Beitragvon ille ego qui » Fr 28. Apr 2023, 22:30

aber wenn sie sich verhaspeln


Das ist aber nicht alleine "unsere" Domäne :D
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Re: Frage zu Tempus / Modus bei Seneca

Beitragvon Sapientius » Sa 29. Apr 2023, 08:33

An dieser Domäne haben wir alle Anteil, man kann sie mit dem Anglolatinismus bezeichnen als "fallibility"; sich selbst infragestellen lassen, also "Schüler sein", das ist überlebenswichtig.

Hallo, lieber Sokrates,

ich komme auf die schnelle auf ein paar Punkte:

- Du sprichst einmal von "Kausalsatz" (wie üblich), aber kausal ist nur das Gefüge beider Sätze; der einzelne Teilsatz von "Weil es regnet, wird die Straße nass" ist nicht kausal, "Es regnet" ist ein Aussagesatz und hat nichts Kausales an sich; ebenso "Die Straße wird nass", ein Naturvorgang.

Die übliche Termininologie geht nur auf die einleitende Konjunktion zurück, kausales quod oder cum; die Grammatik arbeitet hier nur deskriptiv, statt konstruktiv. Der Schüler lernt nicht, was mit "kausal" gemeint ist.

- Du sprichst einmal von "hängt ab", eine Metapher, was ist damit gemeint? So sagen wir immer, gedankenlos.

Ich muss jetzt weg, später mehr,

liebe Grüße
S.
Sapientius
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