Ovid, Met IV, 346 ff

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Ovid, Met IV, 346 ff

Beitragvon iurisconsultus » Fr 18. Mär 2022, 14:27

Hallo zusammen,

darf ich euch kurz um eure Meinung zu folgendem Vers fragen?

flagrant quoque lumina nymphae,
non aliter quam cum puro nitidissimus orbe
opposita speculi referitur imagine Phoebus;


Und auch die Augen der Nymphe leuchten nicht anders wie Phoebus, wenn er vom entgegengehaltenen Spiegelbild zurückgeworfen wird, während er aufgrund der klaren (ungetrübten) Sonnenscheibe am hellsten glänzt.

Wenn ich (halbwegs) richtig übersetzt habe, dann finde ich imago speculi auch für ovidische Verhältnisse recht artifiziell, weil nicht das Spiegelbild das Sonnenlicht reflektiert, sondern die Spiegeloberfläche. Soll nun trotzdem das Kompositum Spiegelbild stehen, sei es aus fehlendem physikalischem Wissen, sei es aus dichterischer Lizenz, so erscheint mir - metrische Zwänge einmal ausgeblendet - speculum imaginis besser als imago speculi - der Spiegel/die Spiegelung des Bildes.

Was meint ihr?
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Re: Ovid, Met IV, 346 ff

Beitragvon marcus03 » Fr 18. Mär 2022, 16:10

quam cum puro nitidissimus orbe
opposita speculi referitur imagine Phoebus;


wie wenn die hell glänzende Sonne durch die
unbefleckte Scheibe eines Spiegels durch/in ein/em
ihr gegenüberliegendes Bild sich widerspiegelt.
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Re: Ovid, Met IV, 346 ff

Beitragvon Tiberis » Fr 18. Mär 2022, 16:58

marcus03 hat geschrieben:wie wenn die hell glänzende Sonne durch die
unbefleckte Scheibe eines Spiegels durch/in ein/em
ihr gegenüberliegendes Bild sich widerspiegelt.


ich bezweifle, dass sich orbis auf den Spiegel bezieht und würde folgendermaßen übersetzen:


non aliter quam cum puro nitidissimus orbe
opposita speculi referitur imagine Phoebus;


...nicht anders, als wenn bei klarem Himmel die strahlende Sonne widerscheint, wenn man ihr das Spiegelbild entgegen hält.

oder freier:

..als wenn bei klarem Himmel ein Spiegel die Sonne reflektiert
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Re: Ovid, Met IV, 346 ff

Beitragvon marcus03 » Fr 18. Mär 2022, 17:04

vgl.:
Übersetzung von Rösch:
https://books.google.de/books?id=L63oBQ ... =PA140&dq=

loeb übersetzt:
Her eyes shone bright as when the sun’s dazzling face is reflected
from the surface of a glass held opposite his rays.
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Re: Ovid, Met IV, 346 ff

Beitragvon iurisconsultus » Fr 18. Mär 2022, 17:37

Tiberis hat geschrieben:wenn man ihr das Spiegelbild entgegen hält.

Danke euch beiden für die raschen und hilfreichen Antworten. :) So übersetzt löst sich der Abl. abs. opposita speculi … imagine schön auf.
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Re: Ovid, Met IV, 346 ff

Beitragvon Sapientius » Mi 23. Mär 2022, 09:21

flagrant quoque lumina nymphae,
non aliter quam cum puro nitidissimus orbe
opposita speculi referitur imagine Phoebus;


Hinterher ist mir noch der Gedanke gekommen, dass hier die Enallagé vorliegen könnte, die "Vertauschung" der Satzteile, oder "kunstvolle Satzteilverrenkung", weniger pofessionell gesagt; was meint ihr?
"opposita" also nicht zu imagine, sondern zu speculi; und dann nochmal: statt "imagine Phoebus" "imago Phoebi".

Also Vorschlag: "nicht anders als wenn bei strahlendem Himmel das Bild des Phoebus von einem Spiegel reflektiert wird", prosaisch wiedergegeben; "opposita" im D. entbehrlich.
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