Konditionale Vergleichssätze

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Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon ValeriusPaterculus » Mo 14. Mär 2022, 16:54

Liebe Lateinfreundinnen und Lateinfreunde,
Meine Frage zielt auf die Übersetzung des Tempus in konditionalen Vergleichssätzen ab.

Beispiel:
Stultissimum est in luctu capillum sibi evellere, quasi cavitio maeror levetur.
=
Es ist das dümmste sich vor Kummer die Haare auszureißen, als ob durch eine Glatze die Trauer gelindert werden würde.

Wie begründet man in dieser Übersetzung eine Übersetzung des Konjunktiv Präsens von levetur mit "würde" ?

Ferner:
Quasi mea culap bona prodiderit, ita est mihi inimicus.
=
Als ob er die Güter durch meine Schuld zugrunde gerichtet hätte, derart feindselig seht er mir gegenüber.

Hier wird der Konjunktiv Perfekt von prodiderit mit "hätte" übersetzt.

Wie ist das grammatikalisch erklärbar bzw. wie würdet ihr das den SuS erklären bzw. gibt es eine Regel für die Übersetzung im konditionalen Vergleichssatz?

Vielen Dank schonmal. Liebe Grüße
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon marcus03 » Mo 14. Mär 2022, 17:28

http://www.zeno.org/Georges-1913/A/quas ... D?hl=quasi

Im MBS §571 und 465,10 (z.T. gemäß consec. temp.)
Hier gibt es Abweichungen im Dt.
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon ValeriusPaterculus » Mo 14. Mär 2022, 17:36

Das hilft mir leider überhaupt nicht weiter. Ich habe bereits die Kapitel im Menge und Rubenbauer/Hofmann gelesen. Können Sie das vielleicht genauer erklären? Wie sind die Übersetzungen begründbar? Welche Regel greift ?
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon marcus03 » Mo 14. Mär 2022, 18:23

Die Erklärung ist ganz einfach:
Im Dt. nimmt man einen anderen Konjunktiv.
Man kann hier nicht 1:1 übersetzen. Daran scheinst du zu kleben.
Andere Sprachen, andere Mittel. :)

Lies dir die §§ im MBS nochmal genau durch. Das ist mMn alles erklärt mit vielen Beispielen.
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon iurisconsultus » Mo 14. Mär 2022, 18:50

Wie marcus03 bereits angedeutet hat, richtet sich quasi im Lat. zwar nach der CT, weil die Konjunktion aber einen irrealen Vergleichssatz einleitet, steht im D. der Konjunktiv II.
Qui statuit aliquid parte inaudita altera,
aequum licet statuerit, haud aequus fuit.
(Sen. Med. 199-200)
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon ValeriusPaterculus » Mo 14. Mär 2022, 19:54

Okay also vielleicht können wir das mal anhand eines Beispiels exerzieren:

Cicero redet, als ob er betrunken sei. --> entsprechend der CT --> GZ
Cicero dicit quasi ebrius sit.

Cicero redete, als ob er betrunken wäre. --> entsprechend der CT --> GZ
Cicero dixit quasi ebrius esset.

Cicero redete, als ob er betrunken gewesen wäre. --> entsprechend der CT --> VZ
Cicero dixit quasi ebrius fuisset.

Könnte man das so verstehen?
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon ValeriusPaterculus » Mo 14. Mär 2022, 20:31

marcus03 hat geschrieben:Die Erklärung ist ganz einfach:
Im Dt. nimmt man einen anderen Konjunktiv.
Man kann hier nicht 1:1 übersetzen. Daran scheinst du zu kleben.
Andere Sprachen, andere Mittel. :)

Lies dir die §§ im MBS nochmal genau durch. Das ist mMn alles erklärt mit vielen Beispielen.


Also würde es heißen, dasss bei konditionalen Vergleichssätzen, wie es Menge sagt, i.d.R. nur konjunktiv Präsens oder Perfekt steht, und wir den Konjunktiv Präsens mit würde + Inf. und wir wir den Konjunktiv mit hätte + Partizip übersetzen? Könnte man das so sagen?
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon Tiberis » Mo 14. Mär 2022, 23:59

nicht ganz so.
Ich versuche es einmal mit einem einfachen Beispiel:



ita dicis, quasi omnia intellegas. Du redest (so), als ob du alles verstündest
ita dixisti, quasi omnia intellegeres. Du redetest, als ob du ... verstündest.
ita dicis, quasi omnia intellexeris. ... als ob du alles verstanden hättest
ita dixisti, quasi omnia intellexisses. .... verstanden hättest.
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon ValeriusPaterculus » Di 15. Mär 2022, 09:55

Tiberis hat geschrieben:nicht ganz so.
Ich versuche es einmal mit einem einfachen Beispiel:



ita dicis, quasi omnia intellegas. Du redest (so), als ob du alles verstündest
ita dixisti, quasi omnia intellegeres. Du redetest, als ob du ... verstündest.
ita dicis, quasi omnia intellexeris. ... als ob du alles verstanden hättest
ita dixisti, quasi omnia intellexisses. .... verstanden hättest.


ahh super, vielen Dank. Das leuchtet mir ein!

Und vielleicht nochmal, zurück zu Menge. Also würde es heißen, dasss bei konditionalen Vergleichssätzen, wie es Menge sagt, i.d.R. nur konjunktiv Präsens oder Perfekt steht, und wir den Konjunktiv Präsens mit würde + Inf. und wir wir den Konjunktiv mit hätte + Partizip übersetzen? Könnte man das so sagen?


Vielen Vielen Dank schonmal an alle, die geantwortet haben. Ihr seid großartig !!!!
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon Tiberis » Di 15. Mär 2022, 13:16

ValeriusPaterculus hat geschrieben:Also würde es heißen, dasss bei konditionalen Vergleichssätzen, wie es Menge sagt, i.d.R. nur konjunktiv Präsens oder Perfekt steht(1), und wir den Konjunktiv Präsens mit würde + Inf.(2) und wir wir den Konjunktiv mit hätte + Partizip übersetzen? Könnte man das so sagen?


ad 1) : Das ist missverständlich: denn natürlich steht auch Konj. Imperf. oder Plpft., wenn es die Zeitenfolge erfordert, d.h. also, wenn im HS ein Vergangenheitstempus steht.

ad 2) "würde + Inf." ist kein gutes Deutsch. Besser Konj. des Präteritums.

Mit Hilfe der o.a. Beipiele hättest du im übrigen deine Fragen selbst beantworten können. ;-)
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon ValeriusPaterculus » Di 15. Mär 2022, 22:18

Alles klar. Vielen Dank für die Entkontung meines Hirnes!!!
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon ille ego qui » Mi 16. Mär 2022, 11:13

ad 2) "würde + Inf." ist kein gutes Deutsch. Besser Konj. des Präteritums.


Salvete!

Ohne Wertung referiere ich kurz, wie das heute im Deutsch-Unterricht gehandhabt wird (und das wurde auch zu meiner Schulzeit schon so gemacht). Vielleicht ja für den einen oder die andere interessant.

Die würde-Umschreibung gilt als in Ordnung (bzw. wird in manchen Übungen sogar eingefordert), wenn die eigentliche Konjunktivform mit dem Präteritum zusammenfällt, z.B.: wir gingen -> wir würden gehen

Was man in älteren Stilistiken bzw. Grammatiken des Deutschen lesen kann - dass nämlich die würde-Umschreibung in Konditionalsätzen nicht erlaubt ist -, wird heute meiner Beobachtung nach (jedenfalls in schulischem Kontext) überhaupt nicht mehr gelehrt.

Lateinlehrkräfte sind (ebenfalls bereits zu meiner eigenen Schulzeit) noch weniger streng: Die würde-Umschreibung wird gleichberechtigt neben der eigentlichen Konjunktiv-II-Form als mögliche Übersetzung des lateinischen Konj. Imp. empfohlen. Wahrscheinlich versucht man es hier, den Schüler:innen möglichst leicht zu machen und nicht zusätzliche (deutsche) Stolpersteine zu schaffen.

All dies entspricht wohl einem allgemeinen sprachlichen Trend weg von den alten Konjunktivformen.

Curate, ut valeatis!

Valeatis :-)
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon Tiberis » Mi 16. Mär 2022, 12:10

ille ego qui hat geschrieben:All dies entspricht wohl einem allgemeinen sprachlichen Trend weg von den alten Konjunktivformen.


So ist es wohl. :sad: In meiner Schulzeit galt noch die Regel: "wenn- Sätze sind würde-los" (und dazu gehören natürlich auch die mit "als ob/ wie wenn" eingeleiteten kondiz.Vergleichssätze); heute ist eben die Umgangssprache salonfähig geworden. Mag der Konjunktiv aussterben, Hauptsache, es wird korrekt gegendert (>Schüler:innen :D ).
o tempora, o mores! :cry:
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon ille ego qui » Mi 16. Mär 2022, 13:27

Ne fueris tam malignus! :P
Puto me non esse neglegentissimum neque in docendo neque in adhibendo coniunctivo.

Die Umgangsprache der Großväter/Väter und die Schriftsprache der Enkel/Söhne (für dich extra ungegendert! :D) waren schon immer relativ nah beieinander.
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Re: Konditionale Vergleichssätze

Beitragvon ValeriusPaterculus » Do 17. Mär 2022, 04:23

Ich verstehe den Punkt den sprachlichen Zerfall zu bemängeln. Ich jedoch, der ich Latein auf dem zweiten Bildungsweg im Uni-Crash-Kurs erlernen durfte, bin sehr froh, wenn man sprachliche Anwendungsinstrumente an die Hand bekommt, die universell einsetzbar sind.
Dennoch gelobe ich feierlich meinen Konjunktiv II vermehrt ins Spiel zu bringen. :)
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