Frage zur Reflexivität

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Frage zur Reflexivität

Beitragvon Sternenkind » Mo 28. Jun 2021, 17:04

Salvete!


"Der Vater brachte seinen Sohn dazu, ein Gedicht zu schreiben, damit sein Ruhm (der Ruhm des Vaters) öffentlich gemacht werde."

Den letzten Teil möchte ich mit einem Relativsatz im Konjunktiv übersetzen:

Pater filium impulit

ut carmen scriberet

quo (= "mit dem") gloria sua publicaretur.

Ich frage mich nun, ob suus korrekt ist oder ob man eius benutzen müsste, da der Nebensatz, der mit quo beginnt, von dem Nebensatz, der mit ut beginnt, abhängig ist, und da das Subjekt dieses Nebensatzes der Sohn ist.

Danke im Voraus für eure Antworten.
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon marcus03 » Mo 28. Jun 2021, 17:32

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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon Sternenkind » Mo 28. Jun 2021, 17:34

Danke dir, da habe ich auch schon nachgelesen :-) Ich frage mich nun aber, ob in diesem Fall mit "übergeordneter Satz" der Hauptsatz gemeint ist oder der übergeordnete Nebensatz.
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon Sternenkind » Mo 28. Jun 2021, 17:40

Menge, § 85, 6 c)

is, ea id : Wenn der übergeordnete Satz selbst von einem anderen Satz abhängig ist und im ACI oder Konjunktiv steht.

Daher zweifle ich
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon marcus03 » Mo 28. Jun 2021, 18:11

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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon iurisconsultus » Mo 28. Jun 2021, 18:30

Also das Reflexivpronomen ist mE nicht falsch, sondern (nur) zweideutig, weil es sich auf das Subjekt des HS oder des NS ersten Grades beziehen kann.

Uneindeutig ist nun aber keine Besonderheit, siehe statt aller Caesar (direkt oder indirekt reflexiv?):
Caesar milites cohortatus est, ut suae pristinae virtutis memoriam retinerent.


Ariovistus respondit: Sī ipse populō Rōmānō nōn praescrīberet, quem ad modum suō iūre ūterētur, nōn oportēre sēsē ā populō Rōmānō in suō iūre impedīrī


suō = populus Rōmānus
sēsē = Ariovistus
suō = Ariovistus

Ob es nun aber in kontextlosen Fällen stilistisch schöner sei, das Reflexivpronomen zu meiden, dafür bin ich leider der Falsche. :)
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon Sapientius » Di 29. Jun 2021, 16:30

Sternenkind hat geschrieben:Ich frage mich nun, ob suus korrekt ist oder ob man eius benutzen müsste, ...


eius wäre falsch, weil das "sein" sich auf das Subjekt des Matrixsatzes bezieht, also auf den Sprecher der indirekten Rede. Es bleibt aber die Zweideutigkeit bestehen, auf wen es sich bezieht.

stilistisch schöner sei

iurisconsulte, das wäre ein Horror für die Grammatiker, nach der stilistischen Schönheit zu urteilen; ihr würdet euch ja in euren Urteilssprüchen auch nicht darauf einlassen :-D . Aber die Zweideutigkeit des Reflexivums bleibt bestehen.
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon Willimox » Di 29. Jun 2021, 16:42

Nun ja, das "suus" ist sicher korrekt und lässt sich auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eher auf den Vater beziehen, das sagt der kulturelle Kontext über die Pflicht des Sohnes zur Fundierung des Gensruhmes; insofern der Sohn das tut, unterfüttert er auch ein wenig seinen eigenen Namen und Ruf mit Prestige, zeigt er doch die rechte pietas im Generationenhaushalt der Ehre. Nebenbei: Wenig hindert hier, aus Gründen überscharfer Eindeutigkeit auf das Pronomen zu verzichten und "gloria patris" zu schreiben.
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon iurisconsultus » Di 29. Jun 2021, 18:02

In der judikativen Arbeit gelten in stilistischer Hinsicht die Tugenden Eindeutigkeit und Verständlichkeit. Offen gestanden sind wir Juristen dafür nicht sonderlich berühmt, aber wer jede Woche hunderte Seiten Sachverhalt zu erheben und zig Entscheidungen zu diktieren hat, der braucht vor allem Mut zur Lücke, will er seine Arbeitskraft erhalten. :D
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon Tiberis » Di 29. Jun 2021, 23:45

Sapientius hat geschrieben:eius wäre falsch, weil das "sein" sich auf das Subjekt des Matrixsatzes bezieht, also auf den Sprecher der indirekten Rede


wo siehst du hier eine indirekte Rede??
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon Sapientius » Mi 30. Jun 2021, 07:50

"impulit" ist soviel wie persuasit oder admonuit.
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon Tiberis » Mi 30. Jun 2021, 15:00

Eine etwas kühne Interpretation des Begriffs "indirekte Rede". Das würde jedenfalls voraussetzen, dass , wie du es ja auch annimmst, "impulit" quasi stellvertretend für ein verbum dicendi steht, dass also der Vater den Sohn durch eine entsprechende verbale Äußerung (z.B. durch Bitten) dazu gebracht hat, ein Gedicht zu schreiben. Möglich. Aber mindestens genauso möglich ist es, dass der Vater durch sein bloßes Tun/ Verhalten den Sohn zu dem Gedicht veranlasst hat. Spätestens dann kann hier nicht mehr von indirekter Rede ausgegangen werden und "gloria eius" wäre dem unpräzisen "sua" wohl vorzuziehen.
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon Sapientius » Do 1. Jul 2021, 16:20

Das Lob der Kühnheit nehme ich gerne an, aber die "Rede" bei der indirekten Rede möchte ich doch in weiterem Sinn gebrauchen, Rede ist Aussage oder Behauptung, ohne dass unbedingt einer dasein muss, der aussagt oder behauptet; der ACI steht ja auch nicht nur bei Reden, sondern auch nach unpersönlichen Ausdrücken wie decet; "innerliche Abhängigkeit" gehört auch hierzu.
Unter "indirekter Rede" verstehe ich einen Satz oder ein Satzgefüge, das nicht der Autor spricht, sondern eine Person im Matrixsatz; also nicht eine "gemachte Aussage", sondern eine "zitierte oder berichtete Aussage"; und ein "innerlich abhängiger Kausalsatz" bedeutet, dass nicht der Autor eine Kausalverknüpfung behauptet, sondern dass sie vom Autor einer erwähnten Person in den Mund gelegt wird.

Danach würde ich die beiden von dir beschriebenen Möglichkeiten ineins fallen lassen, da ist beides drin, und "sein" bezieht sich auf das Subjekt des HS., muss also mit dem Reflexivum "suam" ausgedrückt werden.
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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon ille ego qui » So 11. Jul 2021, 07:46

Salvete!

Ist es nicht angemessener, von inner(lich)er Abhängigkeit zu sprechen? die indirekte Rede ist innerlich abhängig, aber eben nicht nur diese. eine solche innerliche Abhängigkeit gilt, wenn in einem untergeordneten satz Worte oder auch Einstellungen eines Satzgliedes (meist Subjekts) eines (!) übergeordneten Satzes in markierter Weise wiedergegeben (man könnte sagen: zitiert) werden. Finalsätze zum Beispiel sind immer innerlich abhängig. Auch im vorliegenden Fall – würde ich sagen – gelten die Regeln der indirekten Rede bezüglich des Reflexivpronomens, weil eben sowohl in der indirekten Rede als auch im vorliegenden Fall innerliche Abhängigkeit vorliegt: also suus.
wie bereits angedeutet, muss der Satz, welcher für einen bestimmten Nebensatz die innerliche Abhängigkeit auslöst, nicht der unmittelbar übergeordnetes sein. Das reflexivum wird dann in einem Nebensatz angewendet (neben der herkömmlichen Reflexivität, die natürlich weiter gilt), wenn aus einem innerlich abhängigen Satz heraus ein Bezug zu einer Instanz hergestellt wird, die „weiter oben“ eine innerliche Abhängigkeit ausgelöst hat. Ich hoffe, das ist verständlich ;-)
Übrigens fällt mir der Satz von Otto Seel ein, den mein verehrter Stilübungsdozent gerne zitierte (leider kann ich nicht angeben, wo er steht, eventuell irgendwo versteckt im Buch über Pompeius Trogus): die lateinische Sprache beziehungsweise die Römer hätten sich durch den Gebrauch ihrer Pronomina weitaus mehr Probleme eingehandelt, als uns eine „harmonistische Schulgrammatik“ möchte glauben machen ;)

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Re: Frage zur Reflexivität

Beitragvon ille ego qui » So 11. Jul 2021, 07:50

Nebenbei: Ist publicare wirklich die richtige Wahl?
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