betula, die Birke.

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betula, die Birke.

Beitragvon Laptop » Mi 3. Apr 2019, 00:22

Salvete! Mit welchem Wortakzent würdet ihr eigentlich das lat. Wort für Birke aussprechen? In den meisten Wörterbüchern ist das U kurz und nur ein L angegeben. Damit wäre der Wortakzent logischerweise auf der Antepenult. Aber ausgerechnet die höchste Autorität, das OLD, will nur die Schreibung "betulla" zulassen, wonach der Wortakzent zwingend auf der Penult sitzen würde. Wie soll man das bewerten? Ich habe mal nachgeschlagen und im PHI-corpus erscheint das Wort nur in Plinii Nat. Hist., und zwar dreimal dort. Aufgrund dieser extrem dünnen Datengrundlage ist ein Abgleich und Bewertung zw. verschiedenen Schreibarten gar nicht möglich. Hat denn wirklich kein andrer klassischer Autor jemals das Wort erwähnt? Keine Inschrift? Nichts? Es kann doch kein Tris legomenon allein bei Plinius sein?
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon consus » Mi 3. Apr 2019, 22:32

Im etymolog. Wörterbuch von Walde-Hofmann lesen wir betulla.
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Zythophilus » Mi 3. Apr 2019, 23:04

Ich weiß nicht, wie er dazu kommt, diese Prosodie zu anzunehmen, aber Matthias Gloskovius (Maciej Głoskowski), ein polnischer Dichter, der von 1590 bis 1658 lebte, verwendet das Wort im Nominativ als Daktylus. Das kann natürlich den rein pragmatischen Grund haben, dass er eine Version finden oder erfinden musste, die er in einem daktylischen Gedicht verwenden konnte. Bei betulla, egal ob mit kurzer oder langer Anfangssilbe wäre das freilich auch möglich. gewesen.http://www.fransvanschooten.nl/fvs_geometria_Betula.htm
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Laptop » Mi 3. Apr 2019, 23:53

Consus: Daß die Gallier bitumen daraus kochten scheint mir merkwürdig. Die Gallier haben aus ihr den Birkensaft getrunken, aber bitumen? Erdpech wurde nicht gekocht, und es kommt auch nicht von der Birke. Der Wortakzent bei der Schreibung "betulla" passt natürlich zu dem von "bitumen", oder ... wurde passend gemacht, wer weiß. Denn mir ist kein andrer Schriftsteller bekannt der es mit Doppel-L verwendet. Ach wenn es doch nur eine weitere Quelle, außer der von Plinius, gäbe.

Zythophilus: Wenn ich fragen darf, ich verstehe nicht wie kann das Wort mit dem Ton auf der Penult als Daktylus verwendet werden?
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Zythophilus » Do 4. Apr 2019, 06:41

Der Autor verwendet es als Daktylus, also mit einer kurzen zweiten Silbe. Man könnte es aber ebenso mit einer langen zweiten Silbe in einem Hexameter und Pentameter unterbringen.
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Zythophilus » Do 4. Apr 2019, 06:53

Es gibt durchaus Birkenpech und als Vorstufe dazu Birkenteer. Ich denke mir, dass man das gelegentlich in Analogie, da es ja gleich verwendet wurde und auch sehr ähnlich aussah, eben auch mit bitumen bezeichnete. Pech, das zwar als Material kaum mehr gebräuchlich ist, aber auch es diente umgekehrt als Namensgeber für das von seiner Entstehung her ganz andere Erdpech. Natürlich ist dieser Name nicht mehr in Gebrauch.
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Zythophilus » Do 4. Apr 2019, 14:54

Die italienische Form "betulla" lässt ein lateinisches betulla sehr wahrscheinlich erscheinen. https://en.wiktionary.org/wiki/betulla#Italian
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Zythophilus » Do 4. Apr 2019, 15:15

Abraham Couleius, weniger lateinisch Cowley, ist als Dichter des 17. Jh.s auch nicht ganz nah an der Antike. In seinen Plantarum libri VI erwähnt er in VI 210 die laeta betulla am Ende eines Hexameters.
Diese Prosodie erscheint mir angesichts der anderen Hinweise die plausiblere zu sein.
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Laptop » Do 4. Apr 2019, 21:37

Wie erlaubt die Metrik, daß Gloskovius betulla mit Doppel-L als Daktylus verwendet? Müßte doch genausowenig möglich sein wie bei pusillus z.B.? Geschlossene Silbe zieht den Wortakzent an sich, außer es ist McL, aber Doppel-L ist nicht McL. Oder was übersehe ich da?

Sehr interessant die Stelle bei Cowley. Dort wird eine Etymologie *batula bzw. *batulla ("Schlägel") angeben, wegen der fasces, den Birkenzweig-Bündeln der Liktoren. Ich weiß nicht auf welcher Grundlage diese Etymologie fußt. Aber es klingt für mich nach Volksetymologie, denn betul(l)a soll ja gallischen Ursprungs sein, warum sollte das gal. Wort für schlagen genauso klingen wie lat. battere?

Zu dem ital. "betulla". Ich habe oft schon in einer Diskussion um die Etymologie Schreibungen romanischer Sprachen als Hinweis ins Feld gebracht, und es wurde mir komplett abgewiesen, mit dem Argument es sei null-evident und besitze sogut wie keine Aussage. Denn es gibt ja genug Fälle wo sie vom Lateinischen ganz abweichen.
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Zythophilus » Fr 5. Apr 2019, 06:42

Die Metrik kann es ihm konkreten Fall nicht wirklich verbieten, da es keine Verwendung des Wortes in einem antiken metrischen Text noch einen anderen genauen Hinweis auf die Quantitäten gibt. Wenn man die Form betula als korrekt annimmt, was Gloskovius tut, dann kommt man in Analogie zu anderen Wörtern mit -ula eben auf zwei Kürzen. Ob er einen wirklichen Grund hat, die erste Silbe als lang zu werten, weiß ich auch nicht. Andererseits ist mir auch nicht klar, wieso Couleius dieses e als kurz sieht.
Ich würde die Betonung in romanischen Sprachen - am wenigsten sicher im Französischen - zumindest als Indiz verwenden. Bei relativ alltäglichen Wörtern stimmt sie normalerweise mit der der lateinischen bzw. spätlateinischen überein.
Die Etymologie, die Couleius verwendet, geht sicher an der Realität vorbei, aber vermutlich wusste man es in seiner Epoche nicht besser.
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Laptop » Fr 5. Apr 2019, 16:01

Du hast recht, Gloskovius verwendet ja die Schreibung mit nur einem L, und kann daher die Vokallängen deuten wie er mag.

Ich hab mal ein paar keltische Birken gesammelt
irisch beith
schottisch-gälisch beith
manx billey-beih
walisisch bedwen / bedw
bretonisch bezvenn / bezv
kornisch besewen / besew
Jedesmal wurde die Endung -tula/-tulla fallen gelassen, das könnte ein Hinweis darauf sein, daß das /u/ in lat. betula kurz gewesen ist, richtig? Und der Langvokal ..ei.. deutet auf ein lange /e/ in lat. betula hin, richtig?
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Tiberis » Fr 5. Apr 2019, 16:16

Forcellini führt sowohl betula als auch betulla mit langem e an. Bei betula ist auch das u lang.
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Laptop » Fr 5. Apr 2019, 17:36

Forcellini hat was die Zuverlässigkeit angeht nicht den schlechtesten Leumund. Aber insgesamt sieht das Bild quer durch die Wörterbücher eher verwirrend aus, hier eine Zusammenstellung:

1502 Calepinus: bētŭlă
1670 Pexenfelder: bétula vel betulla
1740 Estienne [*]: betula, & betulla
1768 Forcellini: bētūla vel bētulla
1774 Kirsch (sehr unzuverlässig): bētŭla / bētūlla
1783 Scheller: betŭla oder betulla
1879 Lewis and Short: betŭla (also betulla )
1913 Georges [*]: betulla (betula)
1982 Oxford Latin Dictionary [*]: betulla

[*] was nicht mit Macron gekennzeichnet ist zwar i.d.R. kurz, aber eben nicht immer. Denn versteckte Quantitäten kennen die Autoren nicht, und statt über dem Vokal ein kleine diakritisches Fragezeichen zu setzen, als Zeichen der Unkenntnis, lassen sie die Vokale ganz unmarkiert. Auch offene Quantitäten, die die Autoren nicht genau kennen (bspw. ridica) werden nicht als "unklar" gekennzeichnet. Hinzu kommt, daß manche Autoren, wie anscheinend Kirsch, mit Brevis und Macron nicht die Vokale sondern die Silbenquantität angeben. Kirsch kann man was die Vokalquantitäten angeht am besten gleich vergessen. Scheller hat da einen guten Leumund. Das wussten wahrscheinlich auch Lewis und Short und Georges, denn sie haben direkt oder indirekt von Scheller abgeschrieben! Als Quellen, die zugleich originär sind und auch von großem Leumund, sind eigentlich nur Calepino, Estienne, Forcellini und Scheller zu nennen. Das OLD ist eine moderne Auswertung und Neubewertung aller Primärquellen zzgl. der großen eben genannten Wörterbücher, und man kann es als "Nummer 5" zu den vier genannten hinzuzählen.
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Tiberis » Fr 5. Apr 2019, 23:33

Jedesmal wurde die Endung -tula/-tulla fallen gelassen, das könnte ein Hinweis darauf sein, daß das /u/ in lat. betula kurz gewesen ist, richtig? Und der Langvokal ..ei.. deutet auf ein lange /e/ in lat. betula hin

Das -u- in betula muss kurz sein. Das Substantivsuffix -ula (egal, ob Deminutiv oder nicht), hat stets ein kurzes u, jedenfalls ist mir nichts Gegenteiliges bekannt.
Auf die Forcellini- Quantitäten würde ich mich also nicht verlassen. So findet sich beispielsweise auf dem (ersten) u von catulus ein Längezeichen (!), obwohl aus einer weiter unten angeführten Horazstelle eindeutig hervorgeht, dass es , wie nicht anders zu erwarten, ein kurzes u ist.
das e in betula ist wohl lang, die von dir genannten keltischen Wörter lassen diesen Schluss zu.
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Re: betula, die Birke.

Beitragvon Laptop » Sa 6. Apr 2019, 00:09

Freue mich über Deine Einschätzung, am ehesten entspricht ihr Calepinus und Kirsch.
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