Grabinschrift Hermia - Langvokale

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Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon Zythophilus » Mo 19. Aug 2019, 14:53

Die in Distichen abgefasste, altertümlich wirkende Grabinschrift (CIL I 1221) https://www.britishmuseum.org/research/ ... 2&partId=1 weist abgesehen vom Inhalt orthographische Besonderheiten hinsichtlich der Langvokale auf. Die Schreibung des naturlangen i als EI ist nichts Ungewöhnliches, aber auch das naturlange a wird zweimal als AA geschrieben (wobei nach naatam durchaus nata steht), das naturlange e wird zweimal als EE dargestellt. Konsequent durchgehalten ist diese Schreibung also nicht.
Gibt es weitere Belege für die Darstellung naturlanger Vokale (konkret a und e) als Doppelvokale?
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon marcus03 » Mo 19. Aug 2019, 15:10

Zythophilus hat geschrieben:. Die Schreibung des naturlangen i als EI ist nichts Ungewöhnliches, aber auch das naturlange a wird zweimal als AA geschrieben (wobei nach naatam durchaus nata steht), das naturlange e wird zweimal als EE dargestellt.

Gibt es dafür eine wissenschaftliche Erklärung? Oder ist es nur eine Lesehilfe für Nicht-Adepten/"Poesie-outsider"?
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon Zythophilus » Mo 19. Aug 2019, 15:23

Offensichtlich besteht bei dem Verfasser der Inschrift ein gewisser Bedarf, manche der naturlangen Silbe eigens zu kennzeichnen. Das ist freilich nicht konsequent durchgeführt.
EI für ein langes i gibt es auch noch später, so auf Münzen anlässlich Caesars Tod, auf denen EID MART zu lesen ist, doch die Darstellung von Langvokalen als AA und EE ist mir neu.
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon consus » Mo 19. Aug 2019, 19:29

Zur Vokallänge auf Inschriften u. a. cf. Max Niedermann, Historische Lautlehre des Lateinischen, 3. Aufl. Heidelberg 1953, S. 9: Verdopplung der Vokalzeichen "nach unheitlichem Verfahren" und "wie es scheint nach oskischem Vorbild": paastores CIL I² 638, (132 v. Chr.), seedes CIL I² 1529 (zwischen 134 und 90 v.Chr.), faato, naatam, ree CIL I² 1221, 1.H. 1. jH. v. Chr.). Dann auch collegas ieis locaveeru CIL IX 3387a (Aufinum, an Sonnenuhr, cf. Ernst Diehl, Vulgärlat. Inschriften, Nr. 1430). Accius (ca. 150 v. Chr.) setzte sich offenbar für die Verdopplung von a, e, u ein, Lucilius aber dagegen (s. Kühner-Holzweissig, S. 47).
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon Zythophilus » Mo 19. Aug 2019, 21:46

Gratias, Conse!
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon cometes » Di 20. Aug 2019, 13:02

Eine knappe Darstellung mit Verweisen auf neuere Literatur bietet auch Ranjan Sen in Syllable and Segment in Latin (Oxford University Press, 2015):
https://books.google.de/books?id=J7u6BwAAQBAJ&pg=PA11&ved=0ahUKEwjKjJOWpJHkAhXFlosKHQ4fCeUQuwUIMjAA#v=twopage&q&f=false
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon Laptop » Mi 21. Aug 2019, 01:08

Wenn Niedermann ausgerechnet dieses Grabmal als Beispiel anführt, dann gibt es wohl nicht allzu viele Fälle, bei denen Doppelgrapheme für Langvokale geschrieben wurden. Übrigens, das Schöne ist, daß solche Unregelmäßigkeiten wie FEIDA sehr viel zwischen den Zeilen sprechen. So liegt es nahe, daß nicht nur bei fidus der Stammvokal irgendwo zwischen i und e zu verorten war, sondern auch der Stammvokal des etymologisch nahestehenden foedus (Bündnis). Und daß foedus (Bündnis) somit anders ausgesprochen wurde als bspw. foedus (häßlich). Vielleicht sowas wie fejduß statt fojduß. Nur mal als Gedankspiel, sit venia literis: fidus als fejduß. foedus (Bündnis), ganz genauso fejduß. foedus (häßlich) als fujduß (> pfui, der Süddeutsche sagt sogar ohne p "fui daibel"). Denn glaubt Ihr wirklich, daß "treu" und "häßlich" homophon waren? Die Ehefrau hatte stereotyperweise treu zu sein, und es gibt für Frauen kaum etwas Schlimmeres in der Welt als häßlich zu sein. Beide Vorstellungen haben nicht dieselbe Wertebene.
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon Zythophilus » Mi 21. Aug 2019, 17:45

Ich will nicht ausschließen, dass EI vielleicht früher einen anderen Lautwert hatte, aber zur Zeit der Abfassung war es wohl nicht mehr als ein langes i. fida finden wir zuerst als feida, dann aber schon als fida geschrieben, beide Male in der Kombination mit uiro. Die erste Silbe von f(e)Ida ist jeweils eine lange betonte Silbe im Vers.
Was stützt die These, dass oe in verschiedenen Wörtern anders geklungen haben müsse. foedus als Adjektiv hat nur im Nom.Sg.m. dieselbe Form wie das Substantiv foedus. Da ist die Verwechslungsmöglichkeit für einen Muttersprachler, keinen Schüler, der sich freut, das Wort im Wörterbuch gefunden zu haben, und ohne Rücksicht auf die Kasusendung "hässlich" oder eben "Vertrag" übersetzt, nicht groß.
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon cometes » Mi 21. Aug 2019, 18:10

Bei Sallust, der sich wohl an der Aussprache seiner Leserschaft orientiert, ginge dann z.B. in Post Auli foedus exercitusque nostri foedam fugam Metellus et Silanus consules designati provincias inter se partiverant ... (Iug. 43) das Wortspiel mehr oder minder verloren.
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon Laptop » Mi 21. Aug 2019, 22:56

cometes, naja, man könnte sogar sagen umgekehrt wird eine passende Alliteration daraus (fujdam fugam), aber ich möchte das gar nicht als Argument nutzen, sondern Prosa einfach nur Prosa sein lassen, ohne zuviel Absicht hineinzuinterpretieren. Ich möchte einmal dieses Licht werfen: *foedus wird auch als Nbf. zu hoedus angeführt. Haedus ist ebenfalls eine Schreibart von hoedus. D. h. diese Stammlaute scheinen tendenziell eher weiter weg vom i, und irgendwo im Raum von e o und a zu liegen. Anders als das Nomen foedus, was niemals faedus oder fedus geschrieben wird, ist es da so fern anzunehmen der Stammlaut sei in einem andren Klangraum zu verorten?
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Re: Grabinschrift Hermia - Langvokale

Beitragvon cometes » Sa 24. Aug 2019, 03:26

Da die Gleichheit des Anlauts die Minimalbedingung für eine Alliteration ist, läge eine solche ohnehin vor. Der enklitischen Konjunktion wird zudem ja gerne der Ausdruck engerer Verbindung, hier von foedus und foedam fugam, zugeschrieben, sodass beim Gleichklang der ersten Silbe die wertende Bedeutung des Adjektivs umso deutlicher auf den schon erniedrigenden Vertrag übergriffe.

Grundsätzlich wäre einmal im Sprachvergleich zu prüfen, ob es überhaupt Indizien dafür gibt, dass Homophonie vermieden wird, wenn sich solche Wertekonflikte ergeben, oder ob nicht, wie von Zythophilus angedeutet, ausschließlich das Ausmaß der Verwechslungsmöglichkeit entscheidend ist, in dessen Beurteilung ja auch die Wortart bzw. syntaktische Verwendung eingehen.
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