Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

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Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon Procrustes » Sa 9. Mär 2013, 11:01

Liebe LateinerInnen

Ich hätte gleich nochmals eine Frage, diesmal aber zu einer Verknüpfung anderer Art. Irgendwie finde ich im Menge keine passende Stelle dazu... Könnt Ihr mir weiterhelfen? Folgender Satz soll auf Lateinisch ausgedrückt werden:

"Nichts ist wünschenswerter als der Friede; wer diesen entbehrt, den erfreut nicht einmal Reichtum."

Mein Vorschlag: "Nihil pace optabilius est; qua carentem ne divitae quidem delectant."

Was haltet Ihr von meiner Übersetzung? Ich bin mit meinem "qua carentem" nicht ganz zufrieden, scheint es mir doch den "wer dies tut, der..."-Gedanken unpräzis wiederzugeben. Aber der relative Anschluss ist mit "qua" dabei. Ich bin auf die Verknüpfung mit dem Partizip Präsens aktiv ausgewichen, obwohl ich theoretisch andere Alternativen gefunden hatte:

a) "...; qua qui caret, eum ne divitae quidem delectant". Doch das scheint mir zu wörtlich. Oder kann man einen relativen Anschluss (qua) mit einem "wer dies..." (qui) verbinden? Klingt doch holprig...

b) "....; qui hac caret, eum ne divitiae quidem delectant". Diese Version habe ich verworfen, weil der relative Anschlusss verloren geht.

Was meint Ihr dazu? Vielen Dank im Voraus.
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon SursumDeorsum » Sa 9. Mär 2013, 11:20

Procrustes hat geschrieben:Liebe LateinerInnen

Mein Vorschlag: "Nihil pace optabilius est; qua carentem ne divitae quidem delectant."



Das finde ich persönlich ganz passend.

a) "...; qua qui caret, eum ne divitae quidem delectant". Doch das scheint mir zu wörtlich. Oder kann man einen relativen Anschluss (qua) mit einem "wer dies..." (qui) verbinden? Klingt doch holprig...


Das eher weniger, da mir die Reihung von zwei Relativpronomen irgendwie seltsam vorkommt.

Ich hätte noch einen Vorschlag in Form einer rhetorischen Frage:

Quid enim pace obtabilius, cum eum, qui pace careat, ne divitiae quidem delectare possint?

Denn was ist wünschenswerter als Friede, wo doch den, der Friede entbehren muss, nicht einmal Reichtum erfreuen kann? - Das ist zwar eine Abweichung von deiner Formulierung, aber diese Konstruktion einer Frage mit "quid enim...?" habe ich doch oft genug bei Cicero gelesen - und ich versuche eigentlich, stilistisch immer daran anzuknüpfen: mal gelingt es mehr, mal weniger.
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon marcus03 » Sa 9. Mär 2013, 11:28

Mein Vorschlag:

...; qua sublata nemo ne divitiis quidem delectatur.
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon consus » Sa 9. Mär 2013, 11:30

qua qui caret, eum ne divitae quidem delectant
Gut formulierter Relativsatz. Einziger stilistischer Verbesserungsvorschlag zur Vermeidung des Subjektswechsels:

qua qui caret, ne divitiis quidem delectatur

:)

[Occasione data: "LateinerInnen": horribile visu!]
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon consus » Sa 9. Mär 2013, 11:50

SursumDeorsum hat geschrieben:...Das eher weniger, da mir die Reihung von zwei Relativpronomen irgendwie seltsam vorkommt....
Minime mirum, optime SursumDeorsum! Ut exemplum afferam, cf. Cic. fin. 1, 49: "...mortem contemnit, qua qui affecti sunt in eadem causa sunt...".
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon Procrustes » Sa 9. Mär 2013, 12:20

Besten Dank an Euch alle für die tollen Hinweise. Mich hat die Formulierung "qua qui" auch stutzig gemacht, weil es das lateinische Auge wohl nicht gewohnt ist, zwei Relativpronomina beeinander stehen zu sehen (auch wenn es im ersten Fall als relativer Anschluss gedacht ist. Allerdings zeigt ein Blick in die Originalliteratur Ciceros (via LLT-A), dass er dies mitunter auch so macht, also genau so wie consus schreibt - es dürfte zulässig sein qua qui zu schreiben.
Herzlichen Dank für alles!
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon ille ego qui » Sa 9. Mär 2013, 22:12

"qua qui" stellt auch für mich keinen anstoß dar.
wer es dennoch vermeiden will, kann ausweichen auf "qua si quis caret". "si quis" ist häufig praktisch gleichbedeutend mit - bzw. läuft inhaltlich auf dasselbe hinaus wie - "qui(cumque)".
"qua carentem" hätte ich übrigens nicht für direkt falsch gehalten ...

valete :)
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon Prudentius » So 10. Mär 2013, 10:55

"si quis" ist häufig praktisch gleichbedeutend mit - bzw. läuft inhaltlich auf dasselbe hinaus wie - "qui(cumque)".


Ich würde sagen, nicht nur praktisch und inhaltlich, sondern auch logisch: es sind zwei Formvarianten derselben Aussage, man kann auch sagen, die eine ist eine Umformung der anderen; das Pronomen stellt eine Variable dar, das "si" drückt die Unterordnung (Subjunktion, Hypotaxe) explizit aus, deutet aber das Unbestimmt/Allgemeine der Einsetzung nur implizit an, nämlich durch das sonst als Fragepronomen gebrauchte quis; "quicumque" hingegen drückt das Unbestimmt/Allgemeine explizit aus durch das Suffix -cumque, die Subordination nur implizit.

Man kann formalisieren:
"Wenn etwas ein A ist, ist es ein B",
"Was immer ein A ist, ist ein B",

wobei wir hier vestehen können: A: die, die den Frieden entbehren, B: die keine Freude an Reichtum haben.

Dann haben wir aber auch noch eine dritte Variante, die ebenfalls gleichbedeutend mit den beiden anderen ist:

"Alle A sind B",

beide Momente, das Allgemeine und das Unterordnende sind hier nur implizit ausgedrückt, und wir können uns A als einen kleinen Kreis vorstellen, der ganz innerhalb eines größeren Kreises B liegt.

Da bemerken wir, was hinter dem harmlosen Wörtchen "alle" steckt, das eigentlich gar keine Rolle in der Grammatik spielt.
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon Sokrates » So 10. Mär 2013, 13:01

salvete,

uff, Logik in der Früh....aber gut :D
meiner Meinung nach sind die oben genannten Übersetzungen schon richtig, ein qua qui klingt doch irgendwie sehr lateinsich ;)
Zu den Identitäten kann man folgendes sagen, erstmal von sprachlicher Seite her:

Ein si quis= si aliquis ist formal ja ein kausallogischer, genauer konditionaler Gliedsatz, der eine Umstandsangabe zum Hautverb macht. In ihm ist also ein Bedingungsgefüge wirksam, ebenso wie das etwas versteckte (ali-) indefinite Moment. Es muss also eine Bedingung erfüllt sein, damit die Folge eintritt. Über deren Verwirklichungswahrscheinlichkeit ist ebenso wenig ausgesagt (Realis als indefinite Aussageweise!) wie über das vorliegen in einer konkreten Situation, cf. etwa Bornemann-Risch §277, besonders die Fußnoten.

Bei einem substantivierten Relativsatz als Subj./Obj ist schon die grammatische Klassifikation eine ganz andere, aber auch hier gibt es Hypotaxe und das Anhängsel des verallg. Realtivums/Indefinitums qui+cum+que= wann immer-> iterativ-generalisierende Bedeutung, dann wer auch immer (ὃς-τις ἅν ...). Aus meiner Sicht ist durch die andere synt. Fkt. ein verallgemeinernder Relativsatz mehr dazu geeignet, eine schon vorhandene oder vor Augen schwebende Zuordnung zu treffen (?) Also : Wenn einer mal dieses tut, dann geschieht jenes. (egal, wann und mit welcher Wahrscheinlichkeit das passiert, zeit- und modusindiff. Realis) vs. Wer auch immer dies tut, der... macht auch eine generelle Aussage, aber eben ohne den Bedingungsaspekt. Es wird also eine Gruppe (etwa der Verbrecher), die aus dem großen Ganzen genommen ist, mit diesem Relativsatz beschrieben, während beim Wenn irgendeiner... ja das Kollektiv mit einer Handlung, die es erfährt, assoziiert wird, aber eben nur, wenn die Bedningung eintritt, vgl. Maier, Stilübungen, II, 3. (Ist zwar ein lateinsicher Satz, aber im Griechischen ist wird manches doch deutlicher).

Diese sprachpsychologischen Überlegungen spielen indes für die Aussagenlogik keine Rolle,
denn die Implikation A → B Wenn A gilt, dann folgt daraus B entspricht der hypothetischen Periode, der verallg. Relativsatz könnte allenfalls in einer solchen Form ∀ x( A(x)→B(x)) Ausdruck finden, und ist dann doch wohl synonym zu alle die, die= wer auch immer iSv. A⊃B! Also stehen sich wer auch immer und alle näher als "wenn einer"...
Diese Unterschiede sind rein formaler Art, inhaltlich tut sich da recht wenig, man muss aber die andere Schwerpunktsetzung erkennen.

Dass eine so komplexe Materie wie die Logik und eine so ausgefeilte wie die Grammatik, die man et, -que, -vel etc.und den Gliedaätzen fast alles abdecken muss, nicht immer zusammenpassen, versteht sich von selbst, und als Übersezter muss man manchmal basteln...

Mein Logikwissen ist leider fast schon geschwunden, also bitte Korrekturen und Kritik, wenn sich einer da auskennt!

Lg, Sokrates
P.S. um das Thema nicht mit überfrachteten Beitragen totzuspammen, werde ich mich künfitg kürzer fassen :hail:
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon consus » So 10. Mär 2013, 13:24

Sodalibus artis logicae peritissimis sal.
Equidem non dubito, quin maior pars amicorum nostrorum, qui totos se rebus dederunt grammaticis, ex verbis vestris consideratissimis non mediocrem percipiat fructum. Quid enim maioris apud nos grammaticos est momenti quam ars grammatica cum arte logica coniuncta atque consociata? Iuvat sententiarum vestrarum sequi ordinem atque dispositionem. Pergite modo ut coepistis!
Valete.
:-D
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Re: Logik & Grammatik

Beitragvon Prudentius » Mo 11. Mär 2013, 10:44

Hallo conse,

danke für die freundliche Ermutigung, ich freue mich über die Zustimmung, zögere ja immer, ob ich mich überhaupt zu Wort melden soll, unsere Freunde lassen sich ja nicht so gern auf ungewohntes Terrain locken.

Hallo Sokrates,

man muss aber die andere Schwerpunktsetzung erkennen.


Das passt schon, unter "gleichwertigen Sätzen" sind ja solche gemeint, die den gleichen Wahrheitswert haben, die Schwerpunktsetzung kann verschieden sein.

Mein Logikwissen ist leider fast schon geschwunden


Aktiviere es doch wieder, es lohnt sich, man gewinnt interessante Einsichten, wenn man die Grammatikphänomene vor dem Hintergrund der Logik betrachtet!

Gruß P. :)
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Re: Verknüpfung/Bezüge: Wer diesen entbehrt, den...

Beitragvon Sokrates » Mo 11. Mär 2013, 11:54

wie wahr diese Worte... :D
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