von rescriptor » Di 14. Jun 2005, 02:07
Indogermanisch werden drei Endungssätze unterschieden, jeweils Aktiv und Medium (Passiv ist einzelsprachliche Neuerung), die sich folgendermaßen verteilen:
1. Primärendungen: nicht-präteritaler Indikativ (außer Perfekt), Konjunktiv*
2. Sekundärendungen: Injunktiv**, präteritaler Indikativ (außer Plusquamperfekt), Optativ, Konjunktiv*
3. Perfektendungen: Indikative des Perfektstamms.
* griech. normalerweise Primärendungen, außer 3.Sg.Akt. im Typ homerisch ágêsi < idg h2égêti. Außerdem ist der idg. Sek.-Endungs-Konj. "im Arkad.-Kypr. (stets langvokal.) und vereinzelt im Dor. in Formen der 2.3.Sg.Akt. mit den Ausgängen -es, -e < idg. *-es, *-et: Akt.Sg. 2. kypr. FeÃsês, kyren. poÃêses; 3. ark. ékhê." - "Ursprünglich mögen die Prim.-Endungen zum prospektiven, die Sek.-Endungen zum voluntativen Konj. gehört haben."
** hinsichtlich Tempus nicht spezifiziert, außerzeitliche Konstatierung, Erwähnung, zB im Indischen erhalten: divé-divé sûryo darsató bhût 'Tage-Tage [=Tag für Tag; vgl. dies, divus, diêws>Zeus] (die) Sonne [vgl sôl, r statt l!] beachtet/gesehen/sichtbar [vgl Verbaladjektive auf -to in amatus, paideutós, geliebt] ist/wird [idg Wz bheu-/bhu in gr phuô, lat fui, fore, ama-b-am, ama-b-o, dubius < *du-bhu-ijo-s, dt bauen, bin usw]': 'Tag für Tag wird die Sonne sichtbar'.
"Die Primärendungen unterscheiden sich von den Sekundärendungen im Sing. und in der 3.Pl. durch ein zusätzliches *-i... . Dieses *-i ist offenbar der Ausdruck des Inhalts 'Gegenwartsbericht', wodurch der nichtpräteritale Ind. gegenüber dem ... Inj. gekennzeichnet ist; ursprünglich wohl ein enklitisches Temporaladverb ('jetzt') ... Die gleiche Funktion ... hat anscheinend das zusätzliche -s ..., das Primär- und Sekundärendungen in der 1.Pl. und Du. unterscheidet ... Ob auch in der 2.Pl. eine eigene Primärendung existierte (*-te-s ...) ist unsicher."
Demnach sind die Primärendungen typologisch und historisch jünger.
Quelle: Helmut Rix, Historische Grammatik des Griechischen. S. 190ff, besonders S. 239, 259, 191, 240.
Auf die Endungen 1.Sg. -o und 1.Pl. -men gehe ich jetzt nicht ein.
Einen Grund für die Sekundärendungen im Opt nennt Rix expressis verbis nicht. Man kann es jedoch so erklären:
Das Merkmal 'gegenwärtig' ist 'indikativischen' Charakters. Es ist also vor allem angebracht im IndPräs: thematisch: (-o), -eis < idg *-esi durch Metathese, -ei < *-eit durch Metathese < idg *eti, -men in Analogie zu Prät. - aber dor. -mes, -te (<tes? unsicher, nur lat.), -ôsi/-ousi < urgr=dor. -onti = idg *-onti; athemat. sind die Primärendungen ohnehin offensichtlich.
Auffällig ist die Übereinstimmung der Primärendungen im Konj. und Futur: Wenn diese im Konj. ursprünglich den prospektiven Konj. kennzeichneten, setzten sie beiden, eben diesem prospektiven, futurischen Konj. und dem Futur (das erst einzelsprachlich entsteht) ein Element: 'und zwar möglichst bald, am besten jetzt!' hinzu.
Der Optativ dagegen ist wesentlich zeitunabhängiger: 'möge er seine Kinder gut erziehen' hat fast einen injunktivischen Charakter: es ist ähnlich zeitunabhängig wie der Satz: 'Der Mensch ist ein Wesen, das seine Kinder erzieht, ob er will oder nicht, die einen gut, die anderen schlecht.' Was den ersten vom zweiten Satz wesentlich unterscheidet, ist allein die Tatsache, dass es zur Zeit und vielleicht auch in Zukunft unsicher, wenn auch wünschenswert, ist, ob es geschieht. Der prospektive Konjunktiv dagegen setzt das Künftige als so gewiss, dass man gegenwärtig bereits davon als von einer Gewissheit ausgehen kann: das "prospizierte" Ereignis ist so gewiss, dass es sich auf die Gegenwart bereits auswirkt. Das "optierte" so ungewiss, dass man nicht weiß, ob es irgendwann eintritt/eintreten würde/eingetreten wäre: es ist, wie der Injunktiv, zeitunabhängig.
Natürlich hat all so etwas dann nichts mit den später grammatikalisierten syntaktischen Funktionen von Indikativ, Konjunktiv, Optativ zu tun.