Kulturelle Aneignung

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Kulturelle Aneignung

Beitragvon Veterinaria » Fr 26. Aug 2022, 17:30

Salve Zytophilus,

ist das Benutzen eines "Römertopfes" auch "kulturelle Aneignung" oder einfach eine gesunde Art zu kochen?

Vale

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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon marcus03 » Fr 26. Aug 2022, 18:24

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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Zythophilus » Di 30. Aug 2022, 09:56

Zunächst fällt mir auf, dass der Topf nicht als Römerinnen- und Römertopf bezeichnet wird: Kochten damals keine Frauen? :lol:
Im Ernst: Der Wikipedia-Artikel erzählt davon, dass sich der Name "auf die Verwendung von Keramik in der Küche im Alten Rom" bezieht. Im Spiegel heißt es (Kein Römertopf im Alten Rom, https://www.spiegel.de/kultur/gesellsch ... 16464.html), dass es der moderne Römertopf nicht nach Italien geschafft, man dort allerdings in einem mit einem Ziegel bedeckten Hohlziegel gegart habe. Man müsste hier Fachliteratur zu antiken Kochgefäßen zu Rate ziehen, aber prima vista scheint mir die Aussage zu passen. Die Form dürfte es in der Antike so nicht gegeben haben. Ist schon die Art, Essen so zuzubereiten, "kulturelle Aneignung" oder bedarf es dazu einer relativ genauen Übernahme des Gefäßes?
PS: Ich habe nichts gegen kulturelle Aneignung, denn wenn man es aus der anderen Perspektive betrachtet, hat man Inspiration und kulturelle Beeinflussung. Ich toleriere sogar das Herausbacken eines Wiener Schnitzels außerhalb Österreichs und versuche mich in der Zubereitung aus anderen Kulturkreisen stammender Speisen.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Sapientius » Mi 31. Aug 2022, 08:18

Das Thema führt uns weit von den Kochtöpfen weg, denn die gesamte römische Literatur ist eine "kulturelle Aneignung" der griechischen Literatur: das Nationalepos der Römer, die Aeneis, ist eine Aneignung Homers, es hat eine odysseische und eine iliadische Hälfte; die horazische Lyrik ist eine Aneignung der frühgriechischen Lyrik, usw.

Wir sehen es allerdings anders, für uns ist es "Tradition", imitatio, aemulatio, superatio.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon mystica » Do 1. Sep 2022, 10:08

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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Tiberis » Do 1. Sep 2022, 12:39

Mystica rursus adest. an rursus adesse videtur?
ipsa an sis, dubito, sit tibi nomen idem.
Cur deleveris omnia, quae fuerant tibi scripta ,
et tua imagine nunc cur careas, mihi dic!

:roll:
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Zythophilus » Do 1. Sep 2022, 16:28

mystica hat geschrieben:Ergo obliviscimini linguam Latinam ...

Ob wir uns jetzt von den Griechen oder gewissermaßen aus zweiter Hand von der Römern etwas aneignen, ist auch schon egal. Indianer sollten es halt, bitte, nicht sein.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Sapientius » Fr 2. Sep 2022, 10:54

Bei der "kulturellen Aneignung" handelt es sich um einen zweiseitigen Prozess, in beide Richtungen; "Graecia capta ferum victorem cepit ...", Griechenland wurde kulturell erobert und eroberte seinerseits die Römer; was wir heute als tadelnswert empfinden, ist die Herabsetzung der Geber-Seite; dafür gibt es einen "shitstorm" als furchtbare Strafe.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Tiberis » Fr 2. Sep 2022, 15:58

Es ist nur ein weiteres Symptom des Niedergangs unserer Gesellschaft, wenn in einer Zeit, in der wir wirklich andere Probleme haben, eine Debatte über "kulturelle Aneignung" losbricht, nachdem dieser an sich völlig normale Vorgang von den sattsam bekannten linksradikalen Randgruppen und den ihnen willfährig ergebenen Medien zu einem gleichermaßen absurden wie verlogenen Kampfbegriff umfunktioniert wurde. Genauso wie Rassismus von jenen Kreisen immer nur dann thematisiert wird, wenn er sich gegen Nichtweiße richtet, wird auch die sogenannte kulturelle Aneignung nur dann wahrgenommen, wenn außereuropäische Kulturen die "Opfer" dieser Aneignung sind, niemals umgekehrt. Einem Schwarzafrikaner, der europäisch gekleidet ist, wird genauso wenig "kulturelle Aneignung" vorgeworfen wie einer afroamerikanischen Opernsängerin, die in einer Wagneroper auftritt. Zu Recht findet niemand etwas dabei, wenn eine Schwarze ihre Haare blond färbt und eine "europäische" Frisur trägt, umgekehrt jaulten die rabiatlinken Greta Thunberg - AnbeterInnen unter dem Beifall der einschlägigen Medien sofort auf, als eine nichtschwarze Sängerin mit Dreadlocks auftreten wollte. Wahrlich, weit haben wir es gebracht mit unseren "europäischen Werten". :cry:
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon ClaudiaK » Sa 3. Sep 2022, 17:32

mystica hat geschrieben:Ergo obliviscimini linguam Latinam et discite sapientiam a Graecis!

Ja, das kann man (ganz ernsthaft gemeint) durchaus machen. Man kann sich mit der Quelle beschäftigen. Aber, jetzt der Einwand um die Absolutheit dieser Forderung (mag sie auch mit Zeichen der Ironie versehen sein, so ist der Kern ja durchaus einem Ernst entsprungen) etwas zu mildern, man sollte sich darüber immer im klaren sein, dass die Aneignung dieses Wissens über einen je zeitspezifischen Rezeptionsprozess und -mechanismus stattfindet.
Deswegen bleibt es durchaus auch spannend, die lateinische Literatur weiter zu rezipieren, mal akzeptierend, dass ein genuin römischer Rezeptionsprozess des Griechischen (Übernahme, Austausch, Forsetzung ) stattfand, mal auch die römisch-ästhetische Leistung und Adaption ohne Blick auf die Quelle goutierend und mal mit einem Blick darauf, was spätere Leser und Künstler daraus machten.

Tiberis hat geschrieben:umgekehrt jaulten die rabiatlinken Greta Thunberg - AnbeterInnen unter dem Beifall der einschlägigen Medien sofort auf, als eine nichtschwarze Sängerin mit Dreadlocks auftreten wollte.

Wenn man nämlich sich nicht nur auf die Inhalte selbst versteift, sondern auch historisch die Rezeptionsprozesse und damit einhergehenden Diskussionen wahrnimmt, schult das das Verständnis für die Diskussionen in der eigenen Zeit.

Natürlich wäre es am allerschönsten, wenn unser eigener kultureller Wissensschatz immer wieder aktualisiert und angelegt würde an aktuellen Geschehnisse.

bzw. um das am allerschönsten perspektivisch zu reduzieren: Für mich als Fan lateinischer Mythen, Fabeln und Gedichte wäre es schön.... :D
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon ClaudiaK » Sa 3. Sep 2022, 18:36

Noch ein additum:
Spezial(koch)töpfe gab es in der Antike auch schon. Cicero erwähnt in Pro Sexto Roscio Amerino eine authepsa, einen Selbstkocher. Da hat bei den Entwicklern des Thermomix bei Vorwerk wohl jemand im Lateinunterricht gut aufgepasst.

Bild Thermomix der Antike. :-D (aber wohl eher einem Samowar ähnlich )
aus: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/i ... view/39877

Und ein jüngerer Fund dieser teuren Rarität in Frankreich:
https://www.inrap.fr/rare-decouverte-d- ... -die-15082
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon mystica » Mi 7. Sep 2022, 17:24

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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon medicus » Mi 14. Sep 2022, 17:37

Dixerat "O mores! O tempora! Tullius olim,
Quod tibi non placeat, Mystica nostra, quid est?
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon mystica » Do 15. Sep 2022, 09:44

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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon medicus » Do 15. Sep 2022, 10:41

Verum esse putavi. :-o
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