Judikative

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Judikative

Beitragvon sinemetu » So 12. Jan 2020, 15:03

Als ich klein war, hieß es, die drei Säulen einer Demokratie seinen, Legislative, Executive und Jurisdiktion.

Heute heißt es:
Darüber hinaus ist er Oberbefehlshaber der Streitkräfte mitsamt Recht, einen Krieg zu erklären, sowie der Kopf aller drei staatlichen Gewalten: Exekutive, Judikative und Legislative.

Quelle: https://www.focus.de/politik/irankrise/ ... 40927.html

Dabei scheint das Wort nicht alt zu sein, und ich leite es laienhaft mir aus Jus dicere her. Aber stimmt das?
Daher die Fragen: Wann habt Ihr das Wort zum ersten mal gelesen oder gehört? Wie alt ist es wirklich? Ist es in etwa in Anlehnung an Executive erst jüngst gebildet worden? Ist es ein übernähme aus einer modernen Sprache?

Die Etymologie bei DWDS ist seltsam: https://www.dwds.de/wb/Judikative
https://books.google.com/ngrams/graph?c ... ve%3B%2Cc0
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Re: Judikative

Beitragvon Tiberis » So 12. Jan 2020, 15:28

sinemetu hat geschrieben:und ich Leute es laienhaft mir aus Jus dicere her. Aber stimmt das?

nein (wie wäre das "a" zu erklären?) , sondern von > iudicativus (abgeleitet von iudicare)
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Re: Judikative

Beitragvon sinemetu » So 12. Jan 2020, 15:55

Danke, - cativus ist ja ein Adjektiv. Wie wäre das lat. Bezugswort? Etwa Corpus iudicativus?
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Re: Judikative

Beitragvon marcus03 » So 12. Jan 2020, 16:01

potestas iudicativa
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Re: Judikative

Beitragvon sinemetu » So 12. Jan 2020, 16:03

Tiberis hat geschrieben:
sinemetu hat geschrieben:und ich Leute es laienhaft mir aus Jus dicere her. Aber stimmt das?

nein (wie wäre das "a" zu erklären?) , sondern von > iudicativus (abgeleitet von iudicare)

Ist ius dicere und iudicare nicht dasselbe, oder gibt es da eine differenzierte Semantik?
Zuletzt geändert von sinemetu am So 12. Jan 2020, 16:19, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Judikative

Beitragvon marcus03 » So 12. Jan 2020, 16:15

dicare = verbum intensivum zu dicere (vgl. vindicare)
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Re: Judikative

Beitragvon Tiberis » So 12. Jan 2020, 21:53

sinemetu hat geschrieben:Ist ius dicere und iudicare nicht dasselbe

beides bedeutet mehr oder weniger dasselbe, aber trotzdem leitet sich iudicativus von iudicare (nicht von ius dicere) ab, genauso wie indicativus von indicare (und nicht von indicere) etc.
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Re: Judikative

Beitragvon sinemetu » So 12. Jan 2020, 22:09

Unwidersprochen, Tiberis, was Deine Analyse angeht.

Mit dem Gebrauch im Deutschen schein ich aber recht zu haben: Die Hochzeit des Demokratiegedankens war Ja das 19. Jahrhundert.
https://books.google.com/ngrams/graph?c ... on%3B%2Cc0
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Re: Judikative

Beitragvon Tiberis » So 12. Jan 2020, 22:43

Auch mir war der Begriff "Iurisdiktion" bislang vertrauter. Dennoch ist der Begriff "Iudikative" logischer, denn warum sollte man die anderen 2 Gewalten mit Adjektiven bezeichnen, die rechtsprechende hingegen mit einem Substantiv?
Weiters wäre auch nicht begründbar, weshalb "Rechtsprechung" , wenn es um die Gewalt geht, "Jurisdiktion" genannt wird, ansonsten aber "Judikatur".
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Re: Judikative

Beitragvon sinemetu » So 12. Jan 2020, 23:41

Tiberis hat geschrieben:Dennoch ist der Begriff "Iudikative" logischer, denn warum sollte man die anderen 2 Gewalten mit Adjektiven bezeichnen, die rechtsprechende hingegen mit einem Substantiv?

1. Du meinst das Wort, nicht den Begriff, denn begriffsmäßig ist Judikative und Jurisdiktion doch dasselbe. Ein echtes synonymes Paar zur Bezeichnung der 3. Gewalt.
2. ich möchte hier nicht von Logik sprechen, sondern von Anklang im Ausklang. Iudikative hat den selben Ausgang wie Legislative und Executive. Es merkt sich daher leichter, und ist auch leichter auffindbar im Mind und leichte zuordenbar. Das sind echte Vorteile für Wörter, und somit hat das Wort Iudikative die Chance, die Jurisdiktion vollkommen an den Rand zu drängen.
3. Sollte der Antisemitismus in D. weiter anwachsen - Richter und Anwalt sind in den Augen der Leute typische Judenberufe- könnte Iudikative antisemitisch mißverstanden werden. Es kann sein, daß das Wort Judikatur eben deshalb im 19. Jahrhundert bewußt gemieden worden ist. Es wäre eine Steilvorlage für Antisemiten gewesen.

Tiberis hat geschrieben:Weiters wäre auch nicht begründbar, weshalb "Rechtsprechung", wenn es um die Gewalt geht, "Jurisdiktion" genannt wird, ansonsten aber "Judikatur".

Den Satz versteh ich nicht!
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Re: Judikative

Beitragvon Tiberis » Mo 13. Jan 2020, 01:24

sinemetu hat geschrieben:Sollte der Antisemitismus in D. weiter anwachsen - Richter und Anwalt sind in den Augen der Leute typische Judenberufe- könnte Iudikative antisemitisch mißverstanden werden. Es kann sein, daß das Wort Judikatur eben deshalb im 19. Jahrhundert bewußt gemieden worden ist. Es wäre eine Steilvorlage für Antisemiten gewesen.


:shock: :hairy:
also bitte ! Auf die kranke Idee, Judikative mit Juden in Zusammenhang zu bringen, muss man erst einmal kommen. und die aussterbende Spezies, die Richter und Anwälte möglicherweise für "typische Judenberufe" hält bzw. hielt, hat die Wortwahl mit Sicherheit nicht beeinflusst.

sinemetu hat geschrieben:Tiberis hat geschrieben:Weiters wäre auch nicht begründbar, weshalb "Rechtsprechung", wenn es um die Gewalt geht, "Jurisdiktion" genannt wird, ansonsten aber "Judikatur".Den Satz versteh ich nicht!


Das Wort "Jurisdiktion" wird bzw. wurde m.W. ausschließlich in Bezug auf die Gewaltenteilung gebraucht,
"Judikatur" meint hingegen konkrete richterliche Entscheidungen.
z.B.
Jurisdiktion ist einer der drei Bereiche der Gewaltentrennung im Staate.
Gemäß geltender Judikatur des Höchstgerichtes wurde dem Antrag .. stattgegeben.
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Re: Judikative

Beitragvon sinemetu » Mo 13. Jan 2020, 09:02

Tiberis hat geschrieben:also bitte ! Auf die kranke Idee, Judikative mit Juden in Zusammenhang zu bringen, muss man erst einmal kommen.

Du hast Latein gehabt, die Masse der Leute nicht.
Tiberis hat geschrieben:und die aussterbende Spezies, die Richter und Anwälte möglicherweise für "typische Judenberufe" hält bzw. hielt, hat die Wortwahl mit Sicherheit nicht beeinflusst.

Genau hier bin ich nicht Deiner Meinung, und zwar, was die Vergangenheit betrifft.
1. Bedenke, welchen Aufwand die Autofirmen heute betreiben bei der Bezeichnung ihrer Autotypen, damit ja kein Autoname in die Nähe eines Wortes mit schlechter Bedeutung in den verschiedenen Sprachen gerate.
2. Die schrittweise Demokratisierung seit 1792 ist ohne den Beruf des Anwaltes nicht denkbar. Und gerade die Vertreter des Judentums fanden sich immer unter den progressiven Kräften. Und die Theorie der Demokratie ging von diesen Kräften aus.
3. Das 19. Jahrhundert hatte den Holokaust noch vor sich. Die Infektion des lauten Antisemitismus nahm in diesem Jahrhundert ihren Anfang. Man begann mit der "Judenfrage" die Massen zu beschäftigen. Es ist das Jahrhundert, in dem sich die latent noch vorhandene chr. Antisemitismus in den säkularen A. wandelte.
4. Und in dieser historischen Situation meinst Du, daß Richter und Anwälte, die schon von Berufswegen mit Wortwahl zu tun haben, auf Wortbildung und Wortgebrauch in politicis keinen Einfluss genommen haben. Mich dünkt da eher, daß Judikation auf der Hand lag, und dass genau jener Assonanz wegen auf Jurisdiktion ausgewichen wurde.
5. Und der Aufstieg dieses Wortes heute ist damit zu erklären, weil es heute nicht mehr anstößig ist, weil heute der Anteil der Juden unter den Anwälten, deren Zahl massiv gestiegen ist, verschwindend ist.
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