anzetteln

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anzetteln

Beitragvon sinemetu » Fr 5. Sep 2014, 07:29

Politische Rede erkennt man ja meistens daran, daß Versatzstücke verarbeitet werden. Im Zusammenhang mit dem Anniversarium des Beginns des Krieges 1939 fällt mir besonders (bei linken Lokalpolitikern) die Formel vom Anzetteln des Krieges aus. Man ist dortens felsenfest überzeugt, Deutschland habe den zweiten Weltkrieg angezettelt. Wie auch immer dem gewesen sei, es steht die Frage, was eigentlich anzetteln ist. Mit Sicherheit ist der Krieg nämlich viel älter als das Wort anzetteln, und auch als das Wort Zettel selbst. Darum hier nun die Frage, woher und aus welcher Zeit stammt das Wort anzetteln, was wurde das erste Mal angezettelt und wann durch wen. Gibt es darüber schriftliche Hinterlassenschaft?
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Re: anzetteln

Beitragvon RM » Fr 5. Sep 2014, 09:23

"Zettel" sind die Kettfäden, also die stabilen tragenden Fäden, in der Webkunst. "anzetteln" heißt also im Prinzip, ein neues Stück Tuch zu beginnen. Schon in den Lexer geschaut (http://woerterbuchnetz.de/Lexer/)?

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Re: anzetteln

Beitragvon sinemetu » Fr 5. Sep 2014, 10:03

Danke, dran denkt natürlich keiner heute mehr. Alle assozieren Papierzettel und Intrige. Insofern heißt anzetteln ja etwas in's Werk setzen, etwas beginnen, im Sinne von gr. (ἀρχεῖν = der Erste sein, anführen).

In diesem Sinne ist es natürlich Quatsch von Deutschland zu sprechen, denn ein Krieg kann nur stattfinden, wenn sich zwei Gegner finden. Und zwei Gegner gibt es nur, wenn sich zwei auf den Krieg vorbereitet haben. Es haben sich aber sehr viele auf diesen Krieg vorbereitet. So ein Krieg ist dann einem Teppich zu vergleichen, in dem der Weg von Schuss und Kette nicht mehr vom Weber bestimmt werden, sondern die Parzen übernehmen die Regie und die einzelnen Fäden ändern urplötzlich ihren geordneten Lauf, werden abgeschnitten, umgebogen, in andere Bahnen gelenkt. sic parcae volvunt - gelten Sie eigentlich als sparsam?

Danke für den Wörterbuchtip
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Re: anzetteln

Beitragvon RM » Fr 5. Sep 2014, 10:23

sinemetu hat geschrieben:In diesem Sinne ist es natürlich Quatsch von Deutschland zu sprechen, denn ein Krieg kann nur stattfinden, wenn sich zwei Gegner finden.

Das meinst Du ja wohl nicht im Ernst, oder?
Der Zweite Weltkrieg wurde von Deutschland eindeutig als reiner Angriffskrieg begonnen und ins Werk gesetzt.
Etwas Ähnliches, wenn auch nicht in dieser unmittelbaren Eindeutigkeit, hat zum Ersten Weltkrieg geführt. Auch hier war Deutschland der wesentliche Motor des Krieges, den Österreich-Ungarn ohne das Bündnis mit Deutschland überhaupt nicht hätte riskieren dürfen.

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Re: anzetteln

Beitragvon marcus03 » Fr 5. Sep 2014, 11:16

sinemetu hat geschrieben:gelten Sie eigentlich als sparsam?


Die Parzen haben mit dem Sparen (parcere) wohl wenig am Hut. ;-)
Zur Etymologie:
http://www.zeno.org/Georges-1913/A/Parca?hl=parca
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Re: anzetteln

Beitragvon sinemetu » Fr 5. Sep 2014, 12:16

Du Denkst politisch RM. Mach das mal nicht. Wir hatten die Etymologie von anzetteln besichtigt, und festgestellt, daß es bedeutet, ein Webstück beginnen. Jeder Krieg ist ein Ganzes, ein Webstück, die eine Partei ist Schuss, die andere Kette. In diesem Sinne kann man nicht davon reden, daß Deutschland den Krieg angezettelt hat.

Wenn man das in die historische Situation übersetzt, so sind klassische Nationalstaaten immer auf den Krieg vorbereitet, denn sie haben ein stehendes Heer. Wenn wir anzetteln nicht mit einseitig diplomatischer Intrige zum Zwecke der Entfesselung eines Krieges übersetzen, sondern als gemeinsame Anstrengung aller Staaten, denn strukturelle Friedensfähigkeit ist eben der Verzicht auf ein stehendes Heer, dann ist es Unsinn, von Deutschland als Kriegsverbrecher zu reden.

In's Bürgerliche gewendet. Zwei Nachbarn stellen sich mit gezogener Waffe auf ihre Grundstücksgrenzen und zielen aufeinander. Ist zwar pervers, aber das ist die Realität, das ist die Situation des Nationalstaates. Nach dem omninoten Motto: Si pacem vis, bellum para!
Zuletzt geändert von sinemetu am Sa 6. Sep 2014, 08:45, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: anzetteln

Beitragvon RM » Fr 5. Sep 2014, 12:20

sinemetu hat geschrieben:Du Denkst politisch RM.

Das solltest Du vielleicht gelegentlich auch tun ... :wink:

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Re: anzetteln

Beitragvon Zythophilus » Sa 6. Sep 2014, 13:50

Hätte Hitler ohne das Bündnis mit Stalin den Krieg so begonnen?
Dazu gab es abgesehen vom Expansionsdrang des Deutschen Reiches, der natürlich der Hauptgrund war, durchaus politische Gründe (Diskriminierung der Deutschen in Polen, die Verweigerung eines Korridors nach Ostpreußen ...), die man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Krieg als einem damals legitimen Mittel lösen wollte. Auch Polen, dass sich in der Zwischenkriegszeit gegenüber seinen Nachbarn sehr aggressiv verhielt, versuchte schon 1930 einen Angriff auf Deutschland gemeinsam mit Frankreich anzuzetteln.
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Re: anzetteln

Beitragvon sinemetu » Sa 6. Sep 2014, 20:33

Da wir gerade bei Anzetteln sind. Wer hat das da in der Ukraine oder Neurussland angezettelt? Tun eigentlich auch Gute was anzetteln, oder ist das eine ausschließlich von den Bösen ausgeübte Tätigkeit?

Noch was ganz anderes. Manchmal gibt es in den WB ja einen Hinweis auf den Gebrauch eines Wortes. Gibt es eigentlich ein WB, welches sich ausschließlich mit der emotional skalierten Wertung von Worten befasst?
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Re: anzetteln

Beitragvon Prudentius » So 7. Sep 2014, 08:23

Gefühle skalieren - das musst du schon alleine machen :-D
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Re: anzetteln

Beitragvon romane » So 7. Sep 2014, 08:39

Eine etwas andere Variante besagt, dass "Zettel" der Spezialausdruck der Weber für einen tragenden Längsfaden des Gewebes war. Und bevor die eigentliche Weberei losgehen konnte mussten diese "Zettel" erst "angezettelt" werden. Und dabei konnte es auch vorkommen, dass man sich "verzettelt".
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Re: anzetteln

Beitragvon Prudentius » So 7. Sep 2014, 17:02

Polen, dass sich in der Zwischenkriegszeit gegenüber seinen Nachbarn sehr aggressiv verhielt, versuchte schon 1930 einen Angriff auf Deutschland gemeinsam mit Frankreich anzuzetteln.


Das kann man wohl schwerlich annehmen, die Infanterie ist ja noch auf Pferden geritten, während D. über motorisierte Truppen verfügte, die von taktischer Luftwaffe unterstützt wurden.
Auch die Franzosen waren noch 1940 schlecht vorbereitet.

Bei der Schaffung der Republik Polen nach dem 1. Weltkrieg hatte man wohl vergessen, ihre Westgrenze festzulegen; dadurch kam es zu Reibereien.

Die Polen hatten (und haben) einen Groll gegen die "Teilungsmächte" D. und vor allem Russland.
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Re: anzetteln

Beitragvon Zythophilus » So 7. Sep 2014, 21:27

Pferde waren in dieser Zeit nichts Außergewöhnliches in Armeen. Natürlich war die polnische Armee unterlegen, aber der "Spaziergang", als der Sieg über Polen 1939 gerne dargestellt wird, war es nicht.
1933 - nicht 1930 wie irrtümlich von mir geschrieben - waren die militär. Machtverhältnisse noch anders - und da gab es durchaus das Angebot eines gemeinsamen Kriegs gegen Deutschland von Piłsudski, der poln. Ministerpräsident war. Polen besetzte bis 1938 Gebiete von allen seinen Nachbarn.
http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%B3zef_Pi%C5%82sudski
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Re: anzetteln

Beitragvon romane » So 7. Sep 2014, 23:15

geht es darum ?
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Re: anzetteln

Beitragvon Zythophilus » Mo 8. Sep 2014, 06:42

Das Verb "anzetteln" passt m.E. nicht zum Beginn des 2. Weltkrieges, da es etwas Heimliches beinhaltet, das im Falle des 1. Septembers nicht gegeben war. Deutschland griff nach einem angeblichen polnischen Angriff Polen an, am selben Tag kamen die Kriegserklärungen aus Paris und London. Das Verb beschreibt eher die Situation in der Ostukraine, wo nach vermutlich langen Planungen in Moskau etwas in Gang gesetzt wurde, für das Putin jede Verantwortung zurückweist.
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