"Politisch-korrekte" Sprache

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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon Zythophilus » Mo 26. Okt 2009, 18:17

Politisch korrekte Sprache ist ein viel bewussterer Versuch, Macht auszuüben, als das unkontrollierte Wachsen der Sprache. Wenn die Sprache tatsächlich von Männern gemacht worden ist – hier liegt m.E. die unbeweisbare Unterstellung, Männer würden die Sprache bewusst machen, vor -, dann bildete sich eben die Realität in der Sprache ab. Sollte maskuline Formen wirklich zunächst an Männer denken lassen, dann eben weil die Männer dominierten und in vielen Berufen mehr oder gar nur Männer zu finden waren. Wenn nun Frauen diese Berufe vermehrt ausüben, werden sie m.E. nicht dadurch diskriminiert, dass sie in den gramm. maskulinen Formen mitgemeint sind. Natürlich gibt es Vorurteile, aber Frauen in typischen Männerberufen, wenn es solche noch gibt, werden nicht deswegen akzeptiert, wenn man ab sofort von Automechanikerinnen und Automechnaikern etc. spricht.
Es muss offenbar ein gutes Gefühl für einige sein, nachweisen zu können, dass die bisher verwendete Sprache durch und durch diskriminierend ist, sodass man eine gereinigte Sprache den Dummen oder absichtlich Ungerechten verordnen muss. In manchen Bereichen gelingt dieser Sieg recht gut. Paradebeispiel sind natürlich die USA. Ob die diversen Regelungen den angeblich durch die Sprache diskriminierten Gruppen in der Realität wirklich helfen, sei dahingestellt. Die Inuit freuen sich jedenfalls, dass man sie nicht mehr Eskimos nennen darf, während andere Volksgruppen in der Gegend eigentlich nichts gegen den Namen „Eskimo“ haben, aber behaupten, sie seien keine „Inuit“. Die deutschsprachigen Medien übernehmen es jedenfalls folgsam und ohne nachzudenken.
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon Kurgast » Di 27. Okt 2009, 17:34

Nur nebenbei eine Information zu dem Thema "Weibliche Sprachformen": Die Volkshochschule der Stadt, in der ich lebe, hat in ihrem Verzeichnis der angebotenen Kurse und Veranstaltungen im vorigen Jahr beim Nennen der "Veranstalter" zwischen männlichen und weiblichen unterschieden. Z. B. wurde "Die evangelische Kirchengenmeinde" als "Veranstalterin", der Deutsche Gewerkschaftsbund dagegen als "Veranstalter" bezeichnet. Wer so denkt uind schreibt, ist anscheinend der Meinung, dass auch juristische Personen (Die Post AG, Der Hessische Rundfunk, Die Musikschule, ...) sich diffamiert fühlen, wenn ihnen sprachlich die biologische Geschlechterunterscheidung vorenthalten wird. Aber, es gibt auch noch aufmerksame Korrektoren in der VHS: Im Verzeichnis von 2009 waren alle juristischen Personen wieder "Veranstalter".
Es grüßt
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon Zythophilus » Di 27. Okt 2009, 19:02

Sollte nicht auch die Wissenschaft verstärkt auf gender-gerechte Sprache achten?
Die "Neandertaler" hatten vermutlich auch einen etwa 50%igen Frauenanteil; also, bitte, ab sofort "Neandertalerinnen und Neandertaler" oder "NeandertalerInnen". So viel Zeit muss sein!
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon consus » So 1. Nov 2009, 17:21

Da wir ja sonst keine anderen Sorgen haben, möchte ich zu bedenken geben, dass von den in unseren Foren vergebenen Rängen nur zwei, wenn ich es richtig sehe, nämlich advena und civis, die Tatsache berücksichtigen, dass hier Frauen und Männer auftreten.
:roll:
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon RM » So 1. Nov 2009, 18:09

Genau!! In Zukunft heißt es dann "senatores et senatrices" und "dictatores et dictatrices". :shock:

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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon Pyrrha » Mo 2. Nov 2009, 15:24

Dictatrix, Senatrix, Praetrix, Consulix, Censrix, Advenix, Asterix, Obelix... :D

Aber ehrlich: Wie sieht eigentlich das Gegenstück zu Censor, Defensor und anderen Wörtern auf -sor aus? Consul geht m.E. beidgeschlechtlich, auch wenn es das natürlich damals nicht gab, ebenso Aedilis.
Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon consus » Mo 2. Nov 2009, 15:32

Immerhin gibt's defenstrix, dictatrix und nicht zu vergessen, was unsere Ränge angeht, serva, Augusta... :lol:
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon Pyrrha » Mo 2. Nov 2009, 15:43

d.h. ich bin eine Censtrix? gut zu wissen... :-)
Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon RM » Mo 2. Nov 2009, 20:27

... und "senatrices" wurden auch schon erwähnt ...
Man könnte für "senatores et senatrices" die (nur) politisch korrekte Schreibweise "SENAToRicES" einführen.

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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon consus » Fr 4. Dez 2009, 17:10

Vielleicht den meisten von uns schon bekannt, aber auch an dieser Stelle eines Hinweises wert:
http://www.sprachforschung.org/forum/register.php
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon philistion » Fr 4. Dez 2009, 19:33

Interessant ist die Verteilung von gendergerechter Sprache bei positiv und negativ konnotierten Begriffen.
Oft lesen wir von StudentInnen, LehrerInnen, ÄrztInnen, doch wie oft ist uns schon VergewaltigerInnen, MörderInnen oder NationalsozialistInnen untergekommen?
Man stelle sich eine Schlagzeile vor:
Die Zahl der im Jahr 2008 verhafteten VergewaltigerInnen lag deutlich unter jener des Vorjahrs, was die Polizei auf Fortschritte in der..


Da sich die Sprache aus dem Gebrauch ergibt, wird sich eine staatlich initiierte Modifikation nicht durchsetzen, solange die Gesellschaft sich nicht von Grund auf verändert. (siehe Katharevousa u.ä. gescheiterte Versuche von Eingriffen in die Sprachentwicklung)

Ich denke, wir sollten uns auf die wirklichen sozialen Unterschiede und Benachteiligungen von Frauen konzentrieren und versuchen diese zu beheben, sowie verstärkt Frauen in Männerdomänen fördern. Vor allem für den technischen Bereich sollte mehr Anreiz gegeben werden. HTL's sollten keine reinen Männerschulen mehr sein, wo in einer Klasse vielleicht ein Mädchen sitzt.
Aber damit Vorurteile wie jenes der schlechten Technikbegabtheit von Frauen verschwinden, muss in den ersten Stufen der Bildung noch einiges verändert werden.

Ich halte es außerdem für heuchlerisch, die Sprache zu beschönigen, wo eigentlich das Problem an den Wurzeln angepackt werden sollten. Im Moment betreiben wir maximal Symptombekämpfung.

Die Binnen-I-Schreibweise erzeugt Spannungen und erschwert Zusammenarbeit. Wenn schon Gleichberechtigung dann richtig. Die dem weiblichen Plural bis auf die Großschreibung des I entsprechende Form wirkt sehr provokativ, anstatt den gängigen Worten die negative Konnotation zu nehmen wird ein weiblicher Zweitbegriff geschaffen, bei dessen Nicht-Verwendung man im öffentlichen Raum noch dazu als Konservativer gescholten wird.

Ein gutes Beispiel für eine positive Bedeutungsentwicklung ist das Adjektiv "schwul".
Für viele lange ein Schimpfwort, so bezeichnen sich heute sehr viele Homosexuelle selbst als Schwule und gaben dem Begriff (zumindest in der Szene) einen sehr positiven Beigeschmack.
Ein Prozess wie wir ihn bei "Weib" u.ä. sahen, ist also durchaus auch in die andere Richtung möglich.
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon consus » Mi 28. Nov 2012, 11:13

Aus aktuellem Anlass ("Vaterland"):
Hier eine Lesefrucht aus Hans Joachim Schädlich, Kokoschkins Reise (Reinbek 2012, S. 151f.):
Alles das wird gerechtfertigt von den Idioten der politischen Korrektheit, die auch bei uns das Zepter schwingen. Eine Kleinwüchsigen soll man einen vertikal Herausgeforderten nennen.
Wer mit der Keule der "politischen Korrektheit" droht, verhindert immer wieder, dass in Diskussionen Klartext geredet wird.
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon romane » Mi 28. Nov 2012, 12:09

da sieht man wieder: Politik hat doch nichts mit Menschentum zu tun :hammer:
Die Freiheit ist ein seltsames Wesen - wenn man es gefangen hat, ist es verschwunden

www.mbradtke.de
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Re: "Politisch-korrekte" Sprache

Beitragvon Zythophilus » Mi 28. Nov 2012, 23:01

Wenn diese Wortschöpfung echt ist, dann ist es eine unfreiwillige Parodie.
Doch auch weniger seltsam klingende Kreationen, die angeblich diskriminierende Bezeichnungen euphemistisch kaschieren sollen, zeigen nur wenig Wirkung. Die Sache selber bleibt bestehen, sodass die Halbwertszeit der gut gemeinten Euphemismen stetig sinkt.
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