Die wichtigsten Errungenschaften der Menschheit

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Beitragvon Apollonios » So 9. Nov 2008, 16:38

Edler Zythophil,
was das Klima angeht, gebe ich Dir recht, was die Eitelkeit angeht, nicht. Die Menschen mußten einander ertragen, die Mehrzimmerwohnung großbürgerlichen Zuschnitts war noch nicht erfunden, und außerdem vermied man tunlichst, den Freßfeinden eine allzustarke Witterung zu bieten.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 16:47

Man war den Geruch gewohnt, er fiel nicht auf; im Gegenteil, man hätte vermutlich den Geruch vermisst, wenn einer sich zu oft wusch. Auch was als guter oder schlechter Geruch definiert wird, ist kulturell bedingt.
Ab einem gewissen Grad der Sesshaftwerdung gibt es ausreichende Möglichkeiten, sich gegen Fressfeinde zu schützen.
Die Wäsche wöchentlich oder gar täglich zu wechseln, war bis weit ins 19. Jhdt. nicht üblich - ich gebe zu, dass es damals auch schon wenige Fressfeinde in den Städten gab. Wer selber stinkt, merkt den Gestank des anderen nicht, und der Steinzeitmensch hatte andere Sorgen ...
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Beitragvon Willimox » So 9. Nov 2008, 16:53

Sagacissime Zythophile,

unbenommen einer intensiven, gewiss notwendigen R-Lektüre.
Mir scheint, Dein lucreznahes Lehrgedicht mit einer aszendenten Grundstruktur wäre noch besser, würde in der Eröffnung deutlicher, was die bisherige Lehrmeinung war, also das, was in der von Dir avisierten Rezension in den ersten fünf Abschnitten steht:

Bisher wurde die Neolithische Revolution sehr schlüssig beantwortet.
Zunächst führten die Menschen als Jäger und Sammler ein komfortables Leben, bis es zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen kam. Das jagdbare Wild wurde knapp. Es herrschte Mangel.

Clevere Menschengruppen entdeckten geeignete Wildgräser, deren Körner sich als nahrhaft und ungiftig erwiesen. Das tierische Eiweiß wurde durch pflanzliches ersetzt. Im Einklang mit den jahreszeitlichen Zyklen und mit genauen Beobachtungen bzw. Erfahrungen ließ sich der Ertrag durch Bearbeitung des Bodens, Auswahl besonders erntereicher Pflanzen etc. rasch steigern.

Dies zog auch Wildziegen und -schafe an. Fing man die Jungen, konnte man sie einzäunen, aufziehen, ihre Wolle und Milch nutzen und bei Bedarf gar töten. So entstand die Haustierwerdung.

Ackerbau und Viehzucht wurden so erfolgreich, dass sich aus Mangel Überschuss bildete. So konnten Menschen andere Leistungen als Nahrungsbeschaffung einbringen. Kultur entstand. Es bildeten sich Gemeinschaften, aus Dörfern irgendwann Städte und der Schutz der gespeicherten Erträge bedurften irgendwann befestigter Anlagen, den Burgen.

Durch die Neolithische Revolution befreite sich der Mensch aus den Zwängen der Natur und wurde zum Kulturwesen.

Diese Erklärung bezeichnet Reichholf als Saga. Er glaubt ihr nicht, schon gar nicht der Prämisse, die Sesshaftwerdung des Menschen sei aus Mangel geschehen. Warum


Die nachfolgende Correctio in deinem Poem wäre dann argumentativ noch einleuchtender. Was meinst Du?

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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 17:11

SALVE
Verlange nicht, o Willimox, ein carmen didacticum im Stile des Lukrez! Dazu ist ein Sonntag etwas kurz! Ich hatte zudem nicht die Absicht, eine wissenschaftliche Diskussion auszulösen, wiewohl mich das auch nicht stört.
Ich sah die in dieser Kolumne begonnene Diskussion und erwähnte Reichholds Theorie, die mir, wie ich freimütig erkläre, zusagt. Dass sich daraus ein Epigramm ergibt, ist die Konsequenz. (Ein Epigramm hätte sich auch ergeben, wenn Reichhold behauptet hätte, dass die kultische Verwendung von Gurkensalat die Sesshaftwerdung des Menschen bedingt hätte, damit er so immer Gurken zur Verfügung hatte.)
Ich kann die These nicht beweisen. Sollte sie nicht stimmen, ist das Epigramm ja dennoch nicht falsch.

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Die Waschmaschine (wie versprochen)

Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 17:34

Code: Alles auswählen
Machina delectat, qua squalida uela lauentur,
 otia enim tribuit, femina, grata tibi.
Tu quoque uir gaude, quod tempora dantur amatae.
 Tempore, nunc quod habet, praeparet illa cibos!
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Beitragvon Willimox » So 9. Nov 2008, 18:12

Wackerer Zythophilus,

wer wäre ich, dass ich verlangen könnte, nein.

Es geht mir um zweierlei bei meiner Überlegung zu Deinem sehr guten Text, zum Behuf der Wirkungssteigerung:

a) die Exposition könnte nach einer Veränderung sechs statt drei Zeilen umfassen.
b) die Gesamtstruktur der Zythogenie in ihrer dialektischen Zurückweisung einer Not- und Mangelsituation als Auslöser von Kultur wäre dann noch stringenter. Und die sakrale Aura des flüssigen Kornes noch phosphorisierender.

So ist dann der köstliche argumentative Salto mortale der Schlusszeilen mit seinem Kippen des argumentativen Codes umso wirkungsvoller. Ganz unabhängig von dem Plausiblitätsgrad der R.schen Theorie.

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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 18:22

SALVE
Das Epigramm regt zum Denken an; soll es der Autor erweitern, um die Wirkung zu steigern? Länge trägt nicht unbedingt zur Verständlichkeit bei.
Warten wir außerdem einmal auf die Reaktionen auf das Waschmaschinenepigramm!
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Beitragvon Apollonios » So 9. Nov 2008, 18:47

Mann, bist du fähig, gerecht zu sein?
Olympe de Gouges


Die Waschmaschine wurde zur Entlastung der Frau erfunden, ihr Gebrauch kann aber, wie alles Menschengemachte, zu einem entgegengesetzten Sinne pervertiert werden.
Wir sind ja hier nicht bei latine loquendi, also sei gestattet, August Wilhelm Schlegel zu zitieren:

Ehret die Frauen! Sie stricken die Strümpfe
Wollig und warm, zu durchwaten die Sümpfe,
Flicken zerissene Pantalons aus;
Kochen dem Manne die kräftigen Suppen,
Putzen den Kindern die niedlichen Puppen,
Halten mit mäßigem Wochengeld Haus.

Doch der Mann, der tölpelhafte
Find't am Zarten nicht Geschmack.
Zum gegornen Gerstensafte
Raucht er immerfort Tabak;
Brummt, wie Bären an der Kette,
Knufft die Kinder spat und fruh;
Und dem Weibchen nachts im Bette,
Kehrt er gleich den Rücken zu.
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Waschmaschinen, Epigramme etc.

Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 19:58

SALVE
Die Waschmaschine wurde erfunden, um Waschmaschinen zu verkaufen. Dass man etwas meist leichter verkaufen kann, wenn es nützlich ist, kommt dazu.
Dass der Erfinder dieses Geräts damit im Sinn hatte, geknechteten Hausfrauen den Weg zur Bildung zu verschaffen, bezweifle ich; immerhin hätten ja auch schon vor der Erfindung der Waschmaschine Männer ihren Frauen beim Waschen helfen können ...

Es gibt politisch korrekte Epigramme und gute. Ich weiß nicht, ob meines gut ist, aber es ist jedenfalls nicht politisch korrekt. Eine ernst gemeinte laus machinae lauatricis ist entbehrlich; sie hat keine Pointe, ginge bestenfalls als Ironie durch. Die Kritik habe ich erwartet, wenn auch nicht intendiert. Seit 1900 Jahren protestieren vermutlich Glatzköpfe gegen Martials c. VI 57.

Ich kann auch so:
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Machina delectat, qua squalida uela lauentur,
 otia enim tribuit, femina, grata tibi.
Tu quoque uir gaude, quod nunc fit doctior uxor
 tempore, quod studiis dederet, usa suo.

Wer will das lesen?

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Beitragvon Apollonios » So 9. Nov 2008, 20:20

Du lieber Himmel, Zythophil, hast Du mich - oder Schlegeln - etwa vollkommen ernst genommen? Das tut mir leid, lag nicht in meiner Absicht.
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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 20:42

Nein! Ich hatte nur kurzfristig die Angst, mein Epigramm würde zu wörtlich genommen. Es besteht keine Notwendigkeit, sich zu entschuldigen.
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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 20:45

Von Willimox haben wir schon einige Stunden lang nichts mehr gehört; muss er vielleicht gerade Wäsche waschen?
Oder spürt er den kulturhistorisch bedeutsamen Auswirkungen des Bieres im Eigenversuch nach?
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Melde mich gern zur Würdigung

Beitragvon Willimox » So 9. Nov 2008, 21:16

Salvete, Apoll et Zytho,

melde mich gern zur Würdigung.


Zythogonie

Nu ja, Du willst, carissime Zythophile, irgendwie nicht ran an das Ding, dass man Deine Zythogonie mit drei Zeilen mehr verständlicher machen kann und damit sehr viel wirksamer und dass sich das lohnt. Der intelligente Lateiner kapiert aufgrund des Einstieges und der dort auftauchenden Übermehrdeutigkeiten die feine Struktur des Folgekörpers nicht. Aber eben das lohnte gar jede Mühe. Und zum Denken kann nur anregen, was nicht allzu aenigmatisch daherstöckelt: Oder?

Lavamats Exposition

Dein Waschmaschinenvierzeiler wirkt überaus levitatorisch mit Bathos:

Machina delectat, qua squalida uela lauentur,
otia enim tribuit, femina, grata tibi.
Tu quoque uir gaude, quod tempora dantur amatae.
Tempore, nunc quod habet, praeparet illa cibos!


Der Lob der gewonnen, erfreulichen Freizeit, gewonnen für die Frau, wird als Isotopie scheinbar bestätigt in der dritten Zeile, wo sich auch der Mann freuen darf, über die gewonnene Zeit der Frau. Verstärkt durch das attributive grata und das adorativ-idealisierende amatae
(Eine gewisse Konkordanzverstärkung könnte über die lateinnahe Assonanz gewonnen werden: grata tibi ...quod tempora habet amata. )

Witz und Komik, Logik- und Moralverstoß

Der Gag, die schiefe Ebene bringt dann den mentalen Aussetzer für den Leser. Durch einen Logikverstoß, die erwartete Gedankenführung kollabiert. Wie Du, o Zythophile schon sagtest: political incorrectly wird partnerschaftliche Freude plötzlich und überraschend zu machohafter Paschafreude transformiert.

Im Lachen über den Logikverstoß und bei gelähmtem Ich prustet das ES seine Freude darüber hinaus, dass man sich unfair verhalten darf, als dominanzorientiertes viriles Membrum der Menschengesellschaft. Und damit über die Watschen für das hyperkorrekte Überich.

Mikrostrukturelle Pretiosen

Feintuning in der Textstrategie zuhauf:

- Fein der Wechsel aus dem deskriptiven Modus der ersten drei Zeilen in den Optativmodus der letzten Zeile. Fein der konsekutiv-kausale Konjunktiv in der ersten Zeile und seine scheinbare Übernahme in der letzten.

- In der fraglosen Besetzung der Zeitersparnislücke durch Dienst am Mann und dessen Verbrämung im Modus der eingeschränkten Gültigkeit zieht die Pointe ihre perfide Grimasse. Fein.

- Deren Wirkung dürfte so intensiv sein, dass sich nachträgliche Versuche einer Begütigung im Sinne von reziprokem Altruismus nur unter neuem Gelächter zu Wort melden können. Hyperfein.

- Oder muss man nicht lachen über: Der Mann spült nachher ab. Das gute Essen erfreut auf jeden Fall beide. Und schließlich gibt es ja zusätzlich zur Waschmaschine noch die analog wirkende Mikrowelle. Passable Speisen lassen sich damit durchaus bereiten? Jein?

Vale(te)
Zuletzt geändert von Willimox am So 9. Nov 2008, 21:26, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitragvon Apollonios » So 9. Nov 2008, 21:25

Ursprünglich ging es hier um die wichtigsten Errungenschaften der Menschheit. Sprache, Schrift, die Künste, die Fähigkeit zum Frieden und auch die Waschmaschine wurden gewürdigt, alles mit guten Gründen.
Aber Mikrowellengeräte - hmm, da sollte man vielleicht eher ein neues Thema öffnen, Die schrecklichsten Erfindungen seit der Atombombe oder Die dem Genuß des Lebens abträglichsten Dinge oder so ähnlich. :twisted:
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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 21:42

Auch die Mikrowelle hat ihren Nutzen.
Ad Willomoxium:
Das Gedicht über dies Sesshaftwerdung ist wie folgt gegliedert:
Die ersten beiden Disticha referieren die gängige Meinung (Landwirtschaft als Grund der Sesshaftwerdung, um Nahrung zu gewinnen); v. 1-3 in dir. Rede eines fiktiven Gesprächspartners (3 Verse könnte man hier im eleg. Dist. gar nicht hinzufügen, 2 oder 4 gingen)
Das dritte Distichon sagt "Nein. So war es nicht."
Das vierte stellt die Frage "Warum sonst?"
Distichon 5 und 6 sagen, dass das Bier es war - es wird nicht gesagt, dass Bierbrauen vorher völlig unmöglich war.
Der letzte Hexameter bestätigt das noch, während der Schlusspentameter die Aussage leicht ironisiert.
Braucht man mehr?
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