gr. Gedankengut im röm. Recht

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Prudentius » Do 29. Mai 2014, 09:51

Hallo RM,

hast du bemerkt, wieviele Leser wir mit unserer Gr-L-Diskussion finden? Es ist also eine interessante Frage und das Nachdenken wert; für uns wäre es wünschenswert, ein Feedback zu bekommen, also vllt. meldet sich doch jemand zu Wort!

Ich finde, du beschreibst dieses Verhältnis zu kühl, es ist ja bei den Römern ein durchgehender Philhellenismus zu beobachten; ich erwähne nur mal ein paar markante Ereignisse:

- im Jahr 196 v.Chr. verkündete der Konsul Flamininus bei den Isthmien, den panhellenischen Wettkämpfen, den Griechen die Freiheit; die Römer hatten gerade die Makedonen besiegt, diese hatten ja den Griechen die Freiheit genommen: Philipp annektierte im 4. Jh. eine Stadt nach der anderen, und der berühmte Redner Demosthenes hatte vergeblich versucht, seine Landsleute gegen Philipp zu mobiliseren;

- im Jahr 155 kam eine "Philosophengesandtschaft" in diplomatischer Mission nach Rom, sie hielten Vorträge und lösten Begeisterung bei der römischen Jugend aus; das missfiel Cato, er ließ sie schnell abfertigen und ausweisen;

- zum Scipionenkreis gehörte der gr. Historiker Polybios, der zum Rom-Fan wurde und große Werbewirksamkeit unter seinen Landsleuten entfaltete.

Die Römer selbst haben für ihr Verhältnis zu den Gr. das Bild einer Stufenleiter entwickelt: imitatio - aemulatio - variatio.

Man kann vllt, sagen: die Gr. haben für die Römer die Rolle eines guten Lehrers gespielt: nicht Ansichten eintrichtern, sondern dem Schüler zur Entfaltung seiner eigenen Anlagen verhelfen.

Man nennt manchmal die Römer "die Amerikaner des Altertums"; das stimmt in einem Punkte nicht: die Amerikaner sind sehr neuerungsfreudig, die Römer genau das Gegenteil: "mos antiquus", Immobilismus, haftet ihnen bis heute an.

lgr. P. :)
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » Do 29. Mai 2014, 19:20

Salve Prudenti!

Ja, ich habe bemerkt, dass sich viele für diese Fragestellung interessieren, wie das Verhältnis Roms (des Staates) und der Römer (der Leute) zu Griechenland und den Griechen wirklich ausgesehen hat. Es gibt da noch in vieler Hinsicht Klärungsbedarf. Insbesondere sollte man irgendwann damit beginnen, die klassische Lehrmeinung und insbesondere die, die an Schulen gelehrt wird, stärker zu differenzieren.
Natürlich gab es einen gewissen Philhellenismus auf Seiten der Römer. Die Römer haben gerne von anderen Völkern und Kulturkreisen gelernt - insofern widerspreche ich ganz energisch der Meinung, dass sie nicht neuerungsfreudig waren, aber Neuerungen kommen auf gesellschaftlicher Ebene grundsätzlich später an als z. B. auf technischer und militärischer Ebene. Die Römer waren Macher, begnadete Organisatoren, Verwaltungsfachleute, Teamplayer. Sie hatten keine wissenschaftlichen Ambitionen - bei dem, was sie auf diesem Gebiet an Innovation benötigten, verließen sie sich auf die Zuarbeit anderer, z. B. griechischer Sklaven bzw. Angestellter (der Unterschied zwischen diesen beiden Kategorien war fast fließend). Die Römer waren jedoch genial im flächendeckenden Umsetzen dieser Errungenschaften und als Baumeister und Ingenieure sehr erfolgreich. Auch - dies ist ebenfalls ein wichtiger Punkt - entwickelten erst die Römer die Landwirtschaft und dazugehörige Logistik auf ein Niveau, das in ganz Europa eine gute Versorgung mit Basis- und Luxuslebensmitteln ermöglichte.
Griechenland "befreit" zu haben, konnte Flaminius ja guten Gewissens behaupten, wusste er doch genau, dass ab diesem Zeitpunkt die politische Zuständigkeit für Griechenland weitgehend in römischer Hand lag. Und vielleicht war es den Griechen tatsächlich lieber, von den Römern beherrscht zu werden als zu einem ungeliebten makedonischen Reich zu gehören.
Daraus, dass Polybios Rom und die Römer bewunderte, machte er keinen Hehl. Letztlich mag dies auch an weltoffenen Leuten wie Scipio gelegen haben, die keine Vorurteile gegenüber Menschen anderer Herkunft hatten. Dessen großer Gegenspieler Cato war insbesondere den Griechen gegenüber weniger aufgeschlossen, hielt ihren Einfluss auf die damals noch recht puritanisch aufwachsende römische Jugend im Fall der Philosophengesandtschaft für nicht förderlich. Nun, es gab da in der Tat einige Dinge, die in Griechenland akzeptiert wurden, im frühen römischen Reich jedoch nicht, wie z. B. Tanzen und homoerotische Beziehungen. Das Verhältnis dürfte also ohnehin etwas distanziert gewesen sein. Dass Cato die griechische Gesandtschaft gleich wieder los werden wollte, kann ich gut verstehen. Nach seinem berühmten Satz "rem tene, verba sequentur" konnte man nicht guten Gewissens heute für die Sache, morgen für deren Gegenteil reden. Das widersprach Catos Geradlinigkeit zutiefst. Wenn also Karneades der römischen Jugend zeigte, wie man alleine mit Mitteln der Rhetorik seine Zuhörer erst für, dann gegen die Gerechtigkeit einstellen konnte, ist die Begeisterung der römischen Jugend ebenso zu verstehen wie die Missbilligung Catos. Der Philhellenismus wurde erst unter den römischen Kaisern wesentlich ausgeprägter, wobei mir dieser jedoch mehr als ein Akt der Idealisierung bzw. "Idyllisierung" Griechenlands erscheint.

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Prudentius » So 1. Jun 2014, 17:02

Salve RM ceterique lectores,

also ob man heutzutage noch was vom alten Schulhumanismus mit seiner Bevorzugung der Gr. findet, weiß ich nicht, es interessiert mich auch nicht besonders, ich versuche, aufgrund der überlieferten Fakten ein Urteil zu bilden. Mir kommen Zweifel an dem positiven Bild von den Römern, das du zeichnest; du lobst die Landwirtschaft, aber schau dir diesen Mißstand der Latifundienwirtschaft an, riesige Flächen von Sklaven bewirtschaftet, Vertreibung der einheimischen Kleinbauern, Entstehung des städtischen Proletariats, staatliche Speisungen, um Unruhen zu verhindern...
Die Finanzverwaltung in den Provinzen: Der Staat ersparte sich die Finanzämter, indem er sich die Steuersumme von privaten Gesellschaften (publicani) auszahlen ließ und diesen dann freie Hand zum Eintreiben gegenüber den Einwohnern gab.
Ein bewegendes persönliches Beispiel für diese ganze Problematik ist für mich Cic. de re p.: Er legt im 1. Buch die Theorie der Gr. von den drei einfachen Verfassungsformen dar, von ihrer Unausgewogenheit, von dem Kreislauf der Verfassungen und von der vorgeschlagenen Lösung einer "gemischten Verfassung" als Ausweg. Dann sagt Cic., die Gr. haben, Theoretiker wie sie nun einmal sind, ein gewaltiges Gedankengebäude errichtet, aber damit nichts bewirkt; unsere Leute aber haben mit der römischen Verfassung etwas Wirkliches und Effektives geschaffen. Und nur wenige Jahre danach brach diese Verfassung für immer zusammen, wurde durch eine Militärdiktatur o.ä. ersetzt, und der Lobredner Cic. musste mit seinem Leben bezahlen.
Du sagtest einmal, die politischen Leistungen der Gr. hätten sich "in Rauch aufgelöst" oder so; da ist ja was dran, Alexander war ganz plötzlich von der Bildfläche verschwunden; aber denke einmal daran, was diese Stadt Alexandrien in Ägypten für eine Bedeutung und Ausstrahlung erlangte; die gesamte östliche Hälfte des Mittelmeergebietes wurde hellenisiert. Manchmal ist das begriffliche Konstrukt dauerhafter und geschichtsträchtiger als die realpolitische Umsetzung; das Theoriegebäude der "gemischten Verfassung" ist, abgewandelt, bis heute gültig.

Jetzt gibt es Kaffee, ich komme zum Schluss,

lgr. P. :)
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » So 1. Jun 2014, 19:42

Prudentius hat geschrieben:Jetzt gibt es Kaffee, ...

Mit diesem Satz hast Du, care Prudenti, treffend des Ende des letzten Restchens des stolzen griechischsprechenden Oströmischen Reiches umschrieben, das beinahe zur Erweiterung des Osmanischen Reiches bis Wien geführt hätte. Wie bereits erwähnt: Die geflohenen Gelehrten Konstantinopels bereicherten das westeuropäische Bildungsbürgertum in den folgenden Jahrhunderten so sehr, dass wir uns auch heute noch gerne an die lange vergangene Zeit griechischer Glanzleistungen erinnern und Altgriechisch immer noch ein gymnasiales Fach bleiben konnte.
Ich zweifle auch gar nicht daran, dass in großen Teilen des Ostens Griechisch und nicht Lateinisch die Hauptsprache war, auch in Nordafrika. Aber letztlich hatte es in eben diesen Teilen der Welt keinen Bestand, dieser Teil der Kultur wurde vom Osmanischen Reich einfach weggewischt - es ist daher vom Griechischen, außer in Griechenland selbst, nicht besonders viel erhalten geblieben. Das war im Fall des Weströmischen Reiches anders. Dort wurde die römische Kultur besser verankert, wahrscheinlich auch dadurch, dass jede Menge Römer sich in den besetzten Gebieten ansiedelten und durch Heirat und Nachkommenschaft eine dauerhafte Beziehung zu ihren neuen Wohnorten aufbauten. So konnten sie über das Ende des weströmischen Staatsgebildes als solches hinaus einen Teil römischer Kultur bewahren. Selbst im 9. Jahrhundert waren die frühen Zeugnissen moderner romanischer Sprachen eigentlich eher als lateinische Dialekte zu bezeichnen. Dies bewährte sich insbesondere in Bezug auf die schriftlichen Zeugnisse, die aus praktischen Gründen zu einem großen Teil auch noch Jahrhunderte später in lateinischer Sprache verfasst wurden, damit sie von den Gebildeten überall verstanden werden konnten. Für das Oströmische Reich wurde hingegen das Griechische durch das Arabische ersetzt, das zwischen Marokko und dem Irak immer noch ein länderübergreifendes Universalvehikel darstellt.
Wie dem auch sei - es wäre wahrscheinlich möglich gewesen, das Byzantinische Reich noch eine Weile oder dauerhaft zu halten, falls es willens gewesen wäre, sich vom Westen massiv unterstützen zu lassen, aber diese Frage erübrigt sich im Angesicht der historischen Tatsachen. So müssen wir uns heute mit dem begnügen, was die byzantinischen Gelehrten aus ihrer Heimat mitgebracht haben.

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon Prudentius » Mi 4. Jun 2014, 08:17

es ist daher vom Griechischen, außer in Griechenland selbst, nicht besonders viel erhalten geblieben


Du äußerst dich zu herablassend über das Gr., du misst es nach dem römischen Maßstab, aber du musst einsehen, sie haben beide auf unterschiedlichen Gebieten ihre Stärken; du kannst nicht Wissenschaft gegen Straßenbau aufrechnen, nicht kritisches Denken gegen Provinzverwaltung.

In dem Zitat siehst du das Gr. versickern :-D , aber ich möchte sagen, mach die Augen auf, du musst doch sehen, unsere ganze wissenschaftlich/technisch geprägte Kultur ist doch in engem Zusammenhang mit ihren Anfängen bei den Gr. zu verstehen, "vom Mythos zum Logos", es ist doch ein einziger, durchgehender geistiger impetus am Werke; nimm die großen Linien, die weitgespannten Zusammenhänge wahr!

Übrigens, es ist eine Ironie, aber vom Gr. ist noch eher in D. etwas Übrig geblieben als in Griechenland selbst, denn da wurde vom Christentum und dann von den Türken die klassische Tradition verschüttet. Bei uns aber, in der d. Klassik, wurde sie sehr gepflegt, Goethes Iphigenie, Schillers Gedicht "Die Götter Griechenlands", Hölderlins "Hyperion"; man sagt, heutige Gr. werden verlegen, wenn man sie auf Homer oder Sophokles anspricht.

lgr. P. :)
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » So 8. Jun 2014, 13:24

Prudentius hat geschrieben:Du äußerst dich zu herablassend über das Gr., du misst es nach dem römischen Maßstab, aber du musst einsehen, sie haben beide auf unterschiedlichen Gebieten ihre Stärken; du kannst nicht Wissenschaft gegen Straßenbau aufrechnen, nicht kritisches Denken gegen Provinzverwaltung.

Das hat eigentlich mit "herablassend" nichts zu tun, sondern es gibt bestimmte Parameter, die darüber entscheiden, ob Strategien langfristig erfolgreich sind oder nicht. Das Problem der griechischen Kultur war der langfristige Erfolg. Natürlich gab es viele griechische Höchstleistungen auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet. Nehmen wir ein paar Beispiele:
1. Der Tunnel von Samos: zweifellos eine technische Meisterleistung!
2. Thales: Obwohl als einer der ganz großen Mathematiker in die Geschichte eingegangen, wissen wir nur aus späteren Quellen, welche Erkenntnisse ihm zuzurechnen sind. Allerdings scheint das meiste in früher Zeit vorhandene geometrische Wissen auf die Ägypter zurückzugehen.
3. Ktesibios und Heron: Beide waren ganz herausragende Ingenieure, lebten und wirkten aber in Alexandria, nicht in Griechenland und Heron natürlich bereits unter römischer Herrschaft.
Das Problem griechischer Wissenschaft war, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht großflächig in nützliche "Produkte" umgesetzt wurden, sondern nur punktuell wirkten.
Wenn ich mir im Gegensatz dazu die römische Herangehensweise ansehe, war sie - betrachtet am Beispiel von Vitruvs hervorragendem Werk - etwas anders angelegt: Die Römer haben sehr wohl versucht, sinnvolle Anwendungen zu entwickeln. Am Ende von Vitruvs Werk sind einige wie z. B. die Wasserorgel und das Taxometer beschrieben.
Daraus ergibt sich natürlich die Schlussfolgerung, dass wissenschaftliche Erkenntnis erst mit Hilfe entsprechender Infrastruktur und der Entwicklung der richtigen Produkte ihre gewollte Wirkung entfalten und zu einem wirklichen Fortschritt der Menschheit beitragen kann. Die wissenschaftliche Basisarbeit der Griechen musste also erst den Katalysator römischer Organisationsarbeit passieren, bevor sie einen wesentlichen Beitrag zum Gesamtfortschritt leisten konnte.

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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon colocynthis » So 8. Jun 2014, 18:15

Prudentius hat geschrieben: wünschenswert, ein Feedback zu bekommen, also vllt. meldet sich doch jemand zu Wort!

Salvete :)
Beim Lesen eurer bisweilen langen aber sicherlich wertvollen Beiträge neige ich dazu den roten Faden zu verlieren. Ich würde mir daher etwas mehr Struktur in euren Ausführungen wünschen.
concordia parvae res crescunt, discordia maxumae dilabuntur.
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Re: gr. Gedankengut im röm. Recht

Beitragvon RM » So 8. Jun 2014, 20:52

Roter Faden:
- Vergleich der Verdienste der Griechen und der der Römer für die Entwicklung der modernen Gesellschaft und der europäischen Identität.

Die Ausgangsfrage zur Rechtsgeschichte warf die Frage auf, ob das römische Recht eine eigenständige Entwicklung der Römer oder ob griechischer Einfluß spürbar ist.
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass es praktisch eine eigene römische Entwicklung war.

Daraufhin stellte sich die Frage, wie es in anderen Bereichen aussah, also z. B. in der Mathematik, in den Naturwissenschaften und in Technik, Infrastruktur und Verwaltung.

Ich stehe auf dem Standpunkt, dass sich viel von dem, was ursprünglich dem griechischen Kulturkreis zuzurechnen war, erst durch direkten oder indirekten Einfluss der Römer zu uns herüberretten konnte. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es seit ca. 150 v. Chr. keinen griechischen Staat mehr gab und die meisten griechischsprachigen Gebiete im Laufe der Zeit römische Provinz wurden (Ägypten erst 30 v. Chr.).

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