Die Sprache des Thukydides

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Die Sprache des Thukydides

Beitragvon Roxane » Mo 14. Apr 2014, 14:11

Die Sprache des Thukydides (nach Christiane Schwind)

Thukydides gilt als schwer zu übersetzender Autor. Dabei ist seine Wortwahl am klassischen attischen
Griechisch orientiert ... Er bildet zahlreiche Wörter neu, viele davon kommen in seinem Geschichtswerk nur einmal vor. Die Übersetzung fällt uns auch deshalb so schwer, weil Thukydides die Gedanken komprimiert, stark verkürzt, sie z. B. in knappe Partizipialkonstruktionen packt, statt sie in einem konjunktionalen Nebensatz auszuführen. Thukydides liebt den abstrakten Ausdruck, oft substantiviert er Adverbien, Partizipien, Infinitive. Selten findet man einen Satz, der so aufgebaut ist, wie man es erwartet; das ist wohl das wichtigste thukydideische Stilmittel.

Sprachliche Besonderheiten

- Demonstrativ- und Reflexivpronomen der dritten Person Plural: σφεῖς, σφῶν, σφíσι(ν), σφᾶς.
- Genitivus absolutus: vielfach verkürzt;
- oft muss ein Substantiv oder Pronomen aus dem Zusammenhang ergänzt werden: εὐθὺς καθισταμένου, zu ergänzen: τοῦ πολέμου.

Funktionen des Infinitivs

- Genitiv des Infinitivs zur Bezeichnung des Zwecks – am besten zu übersetzen mit Nebensatz: τοῦ μή τινα ζητῆσαι: damit keiner versucht ...
- Substantivierte Infinitivkonstruktionen mit Präpositionen: διὰ τὸ μὴ ... οἰκεῖν. Zu übersetzen mit Nebensatz: deswegen, weil ...
- ἄν steht oft in Verbindung mit einem Infinitiv zur Bezeichnung eines Potentialis oder Irrealis: ἂν ...
εἰπεῖν.

Kasusfunktionen

- Akkusativ Neutrum eines Adjektivs oft in adverbieller Funktion: τοσοῦτον: in so großem Umfang.
- Genitivus partitivus auch nach ὡς: εὐνοίας ἢμνήμης: wie sehr in seinem Wohlwollen oder Gedächtnis.

- Finaler Dativ: τῇ τῶν ἐναντίων κακώσει: zur Schädigung der Feinde.

Laute

- ξυν- steht bei Thukydides statt συν-, ἐς statt εἰς:
- ξυνέγραψε statt συνέγραψε, κτῆμά τε
- ἐς αἰεὶ statt κτῆμά τε εἰς αἰεὶ.
- -σσ- statt -ττ- : ἐκπλήσσω statt ἐκπλήττω.

Relativsätze

- Oft muss aus dem Relativpronomen ein Bezugswort für die Konstruktion im übergeordneten Satz entnommen werden: ὅσοι δὲ βουλήσονται ..., (τούτους) ὠφέλιμα κρίνειν αὐτὰ ἀρκούντως ἕξει.
- Substantivierte Adjektive oder Partizipien im Neutrum Singular oder Plural anstelle eines abstrakten Substantivs: τὸ ἴσον.
- Substantivierung von Adverbien oder präpositionalen Ausdrücken: οἱ πέλας: die Nachbarn; οἱ ὕστερον: die Späteren; τὰ πρὸς τὸ κοινόν: die Dinge, die das Gemeinwesen betreffen.
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Re: Die Sprache des Thukydides

Beitragvon Prudentius » Mo 14. Apr 2014, 17:29

Sehr gute Einführung :) .
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Re: Die Sprache des Thukydides

Beitragvon Sokrates » Mo 14. Apr 2014, 22:29

χαίρετε,

brauchbar!
Aber bedenkt das hier:

einen finalen Dativ gibt es im klassischen Griechisch nicht, nur einen aufgeweiteten Gebrauch des Dativs commodi, incommodi. Genau der liegt vor, jedoch ist der Dativ aus dem Zusammenhang gerissen.
Die Stelle ist natürlich aus der Pathologe, 3, 82. Auf ein Substantiv ξυμμαχία beziehen sich parallele und dennoch antithetische Dative, der Person, die das innere Interesse angeben und der Sache, die das konkrete Ziel angeben (…. im Sinne jeder von beiden Parteien, nämlich zum Schaden der Gegner...) Beides zusammen ist dann gewissermaßen Zweck der Offensivbündnisse, aber von einem Dativus finalis mag ich dennoch schwerlich sprechen. (im Sinne jeder von beiden Parteien, nämlich zum Schaden der Gegner).

σσ statt ττ eher Ionisch denn Altattisch, je mach Vokabel zu prüfen, wo ist der Beleg der Stelle?

Gemeinhin gilt, ja Thukydides ist äußerst Anspruchsvoll, inhaltlich, darum mähen sich Historiker mit der größten Hingabe bemühen, vor allem aber sprachlich, und das wäre dann hier bei uns aufs Schärfste abzuhandeln.
Er formuliert ungewöhnlich, schroff, gewagt, er stilisiert sehr bewusst.
Warum denn ein (reines, prägnantes, und dennoch durch die Artikulation abstraktes, also quasigenerelles und allgemeingültiges) substantiviertes Adjektiv statt des schwerfälligen Verbalsubstantivs?
Warum kantige Konnektoren, etwa einen Genitivs absolutus ohne Partizip oder auch mal ohne Substantiv?
Warum sucht man zu einem Kolon ein gleiches, findet aber nur ein Anakolouth?
Er will überraschen und den Lesefluss behindern, dadurch werden die Leser genötigt, innezuhalten und sich Gednaken zu machen.
Ähnliche Inkonzinnität doch auch bei Tacitus.


LG
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Re: Die Sprache des Thukydides

Beitragvon Roxane » Di 15. Apr 2014, 21:15

Die Auflistung hatte ich von einer Dozentin aus Trier, die sie wohl für ihre Studenten zusammengestellt hat:

http://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q= ... 4171,d.bGQ

Deine Ausführungen sind eine prima Ergänzung, auf jeden Fall für diejenigen, die sich noch intensiver mit Thukydides auseinandersetzen wollen. Vielen Dank!

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