Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

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Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

Beitragvon Glis » Sa 28. Dez 2013, 00:54

Ἑταῖροι,

mein grübelnder Geist klebt an dem Anabasis-Satz, wo es darum geht, wie der griechische Stratege Klearchos mit Soldaten umgeht, die beim Brückenbau nicht genügend Eifer zeigen (Xen. Anab. 2.3.11):

καὶ ἐνταῦθα ἦν Κλέαρχον καταμαθεῖν ὡς ἐπεστάτει, ἐν μὲν τῇ ἀριστερᾷ χειρὶ τὸ δόρυ ἔχων, ἐν δὲ τῇ δεξιᾷ βακτηρίαν: καὶ εἴ τις αὐτῷ δοκοίη τῶν πρὸς τοῦτο τεταγμένων βλακεύειν, ἐκλεγόμενος τὸν ἐπιτήδειον ἔπαισεν ἄν, καὶ ἅμα αὐτὸς προσελάμβανεν εἰς τὸν πηλὸν ἐμβαίνων:

Mein Versuch:
Und hier war es möglich, Klearchos dabei kennenzulernen, wie er die Aufsicht führte, mit dem Speer in der linken Hand und einem Stab in der Rechten; wenn es ihm einerseits so vorkam, dass einer der zu diesem Zweck in Reih und Glied Aufgestellten saumselig war, suchte er den Betreffenden heraus und schlug ihn, andererseits fasste er, während er in den Schlamm hinabstieg, selbst mit an;

Meine Fragen:
1. εἴ τις αὐτῷ δοκοίη ... βλακεύειν mit dem Opt. Präs. sieht nach Potentialis aus. Nun wird im Text ein Geschehnis in der Vergangenheit erzählt; es ist davon auszugehen, dass das potentiell Mögliche während der Aufsicht des Klearchos tatsächlich vorgekommen ist. Also scheint es mir angemessen, hier mit Präteritum zu übersetzen. Sinnvoll?

2. Was tun mit dem Ind. Aor. in τὸν ἐπιτήδειον ἔπαισεν ἄν? Im Kondizionalgefüge steht Ind. Aor. mit ἄν laut den Grammatiken für irreale, also als nicht wirklich vorgestellte Vorgänge in der Vergangenheit. Man könnte also wörtlich daraus machen: ... hätte Klearchos den Betreffenden herausgesucht und geschlagen. Der Temporalplausibilität halber - hier wird Vergangenes berichtet - könnte man im Dt. wiederum einfaches Präteritum setzen.
Bei irrealem Hauptsatz wie unserem τὸν ἐπιτήδειον ἔπαισεν ἄν würde ich allerdings auch einen irrealen εἰ-Satz mit Ind. Aor. erwarten und nicht, wie vorliegend, einen mit Opt. Präs.

Kurzum: Potentialis im Kondizionalsatz und Irrealis der Vergangenheit im Hauptsatz scheinen mir nicht zusammenzupassen.

Vortrefflichste Grüße!
Glis
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Re: Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 28. Dez 2013, 11:06

Hallo Glis, unser unermüdlicher Grieche.. ;-)
Nochmal schöne Nachweihnachtsgrüße!
Es handelt sich hier um den Iterativ der Vergangenheit. Im Nachsatz steht in der Regel das Imperfekt. Aber:
Kühner/Gerth * schreibt:
Kühner/Gerth 575b. IIIb. hat geschrieben:...Im Nachsatze steht der Indikativ der historischen Zeitformen, und zwar in der Regel das Imperfekt. Handelt es sich um eine nur eventuell, unter gewissen Umständen wiederholte Handlung der Vergangenheit, so tritt die Partikel ἄν zum Imperfekt oder Aorist, vgl. § 392, 4.

Im oben zitierten Paragraphen ist dein Satz auch als Beispiel angegeben (siehe Link).

* http://tinyurl.com/ndbuh3j


Gruß, Medicus.
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Re: Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

Beitragvon Glis » Sa 28. Dez 2013, 18:08

Vielen Dank, bester Medicus.
Wie toll, dass du die Stelle bei Kühner/Gerth gefunden hast.
Erquickliche Grüße aus der eigentümlichen Zeitnische "zwischen den Jahren"!

Gl.
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Re: Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

Beitragvon Sokrates » Sa 28. Dez 2013, 19:25

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Zuletzt geändert von Sokrates am Sa 28. Dez 2013, 19:25, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

Beitragvon Sokrates » Sa 28. Dez 2013, 19:25

Chairete,

Erstmal einige unwichtige Kleinigkeiten, die dem Autodidakten aber hilfreich sein könnten (? ;) ):

Das einerseits-andererseits ist hier antithetisch entwickelnd, also schonmal gut, dass du es schreibst, nur ist es etwas verrutscht, von den Waffen zu den Handlungen, wenn mich meine matten Augen nicht täuschen.

Die Adjektive rechts und links können ja sowohl mit dem Bezugswort Hand, wie hier, als auch alleine auftreten, wenn man aber Hand schreibt, dann rechte klein geschrieben, es ist nicht substantiviert, sondern es liegt eine abgeschwächte Ellispe= "Syllepsis", vor.

τεταγμένων: sehr gut, in Reih' und Glied, es ist ja nicht eine Kampfesformation gemeint, sondern eher eine Arbeitsphalanx, wenn man es denn so nennen kann, also Soldat an Soldat die langen Gräben entlang.

τις: wenn man ausdrücken will, dass Klearchos in seiner Strenge keinen Unterschied macht, vielleicht auch "irgendeiner"

ἐπιτήδειον= den geeigneten, "würdigen". Das ist nicht (nur) zynisch gemeint, sondern vielmehr beobachtet er genau und wählt sich dann einen raus, der besondern träge ist, um an ihm auch ein Exempel zu statuieren, vgl. das Part. PRÄSENS= suchte sich einen raus, für sich in einem Entscheidungsprozess auswählen. Er wählt vielleicht auch eher einen matten Faulpelz, der schwach ist, aus, als einen wehrhaften Starken, wenn er mal Pause macht.

αὐτὸς προσελάμβανεν εἰς τὸν πηλὸν ἐμβαίνων:
schwierige Stelle. Das Partizip ist jedenfalls adverbial verwandt. Soll es wörtlich zu verstehen sein, also lediglich das Hinabsteigen in der verschlammten Flussbetten implizieren, dann: packte er auch persönlich mit an, wobei er (auch) in den Schlamm hinabstieg, also das Mitarbeiten geschieht unabhängig vom Versauen der teuren Kluft ;), im Lateinischen cum mit Indikativ, cum explicativum/modale, das einen vom HS unabhängigen Begleitumstand bezeichnet.
Soll aber mit dem Hinabsteigen symbolisch das ganze Arbeiten angedeutet werden, dann ist das Part. eine Umstandsangabe, wie der HS sich vollzieht, also: er fasste selbst mit an, indem er in den Matsch hineinstapfte (und seine Männer unterstützte), also der GS ist Art und Weise, wie der HS eigentlich geschieht, im Lateinischen cum mit Konj, cum coincidens/identicum.

Dies aber nur am Rande.



Nun zum eigentlichen Problem:

Gewiss, man sieht sich so manches Mal genötigt, vor dem reichen Formenschatz des Griechischen zu kapitulieren, aber wenn man sich die Konstruktionen in ihrer Entwicklung vor Augen führt, klärt sich oft einiges!
Eine Kombination von Potentialis und Irrealis in einer konditionalen Periode ist aus rein logisch-semantischen Gründen schon vom Grundsatz her nicht möglich. (Über die mannigfachen anderen sei hier nichts weiter gesagt).
Rein von der Form haben wir also ein Zusammenspiel von Optativ und Ind. Aor. mit Modalpartikel.
Genau der vom Medicis beschriebene Fall liegt hier vor:
Ein Wiederholungsfall der Vergangenheit. Dieser ist aber anders geartet als der Iterativ der Gegenwart, und dennoch heißt er Iterativ der Vergangenheit.
Der Optativ im Nebensatz ist natürlich ohne absolute Zeitstufe und auch das relative Zeitverhätlnis ist vom Aspekt überlagert bzw. mitbeeinflusst, ein Optativ an sich kann aber keine Wiederholung ausdrücken, wenigstens nicht eigentlich, sondern ist wohl potentialen Ursprungs. Am Gliedsatz ist also eine potentiale nicht von einer iterativen Periode zu trennen!
Entscheidend ist der Hauptsatz, denn in ihm steht bei dieser Art des hypothetischen Gefüges oft ein einfaches Imperfekt, was iterativen Aspekt impliziert. Aus diesem Kontext ergibt sich dann die Semantik des Nebensatzmodus als Optativus iterativus.
Nun kann es aber sein, dass eben nicht ein Imperfekt, sondern ein Ind. Aor. mit an im Hauptsatz erscheint. Hier ist die Bedeutung nicht anders als sonst auch (außer dem Irrealis), ein Potentials der Vergangenheit oder ein Iterativ der Vergangenheit, und genau dieser ist es. Er gibt eine Handlung an, die unter gewissen Umständen oder ab und an mal in der Vergangenheit tatsächlich geschehen ist.
Für die Einordnung der gesamten Periode als Iterativ und auch für die Deutung des Optativ als opt. iterat. ist es nicht von Belang, ob Imperf. oder Ind. Aor. mit Partikel steht, wohl aber gibt es einen Unterschied zwischen beiden, insofern ersteres eine konstante (man denke an die Linearität dieses Stammes!), gewohnheitsmäßig wiederholte Handlung angibt (interessant die grobe Analogie im Englischen: He used to smoke, ein Kettenraucher ;) ), letzteres eine gelegentlich unter den richtigen Umständen vorgenommene (He would smoke, ein Fetenraucher).
Es ist klar, dass Klearchos nicht immer überall in einer Art grausamen Ritual jeden verprügelt, der scheinbar nicht arbeitet, sondern wenn die Situation brenzlig ist o.Ä., dann schlug er " gelegentlich/ auch schon mal" zu (leicht dagegen das ὡς ἐπεστάτει= wie er zu befehligen/Aufsicht zu führen pflegte).
Vgl. dazu Kühner §392,4 und §399,4a.

Ob man den Adverbialsatz nun noch als einen konditionalen bezeichnen mag oder ihn eher in die Nähe der temporalen stellt, spielt hierfür kaum eine Rolle, die Abgrenzung zu den "Prospectivi" (besonders der Gegenwart) dürfte einleuchtend sein.

Kurzum: Bei einem Optativ nicht immer einen Potentials vermuten (auch wenn das im Gliedsatz sicher die ursprünglicherer semantische Bedeutung war), sondern nach dem Hauptsatz schauen, so ist man immer gut gewappnet beim Zug der Zehntausend!

Ich hoffe, diese Ausführungen bringen Licht in bisher nicht als Dunkel Erkanntes, meldet euch, wenn ihr Anmerkungen und Verbesserungen habt!
Möge dieses Forum auch im nächsten Jahr so belebt sein!

LG
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Re: Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

Beitragvon Glis » Sa 28. Dez 2013, 21:37

Hallo Sokrates,
aus der Dachkammer, wo selbstlernerisch über der Anabasis gebrütet wird, flattert dir eine besonders ausgeprägte Dankesregung entgegen.

1. Zu deinen Verbesserungsvorschlägen die Übersetzung betreffend:
Diese habe ich erfreut in mein Manuskript eingearbeitet.
Noch ein Nachtrag zur καί-καί-Antithese. Hier moniertest du in meiner Wiedergabe eine Schieflage. Mal abgesehen davon, dass man den Sachverhalt auch mit anderen, vielleicht passenderen Formeln wiedergeben könnte, etwa mit "nicht nur - sondern auch": Wie wäre es, das "einerseits" nach vorne zu schieben, etwa so: "... suchte er einerseits den Geeigneten heraus und schlug ihn, andererseits ..."

2. Zum Iterativ im Allgemeinen (dessen Vorliegen bereits von Medicus aufgedeckt worden ist):
Nach Durchdenken des Sachverhalts scheint es vom Aspektsystem her betrachtet durchaus folgerichtig, dass neben dem Iterativ der dauernden auch einer der gelegentlichen Wiederholung vorkommt. Ich werde das im Gedächtnis behalten.

Auf bald allerseits!
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Re: Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

Beitragvon Sokrates » Sa 28. Dez 2013, 22:23

χαίρετε,

freut mich wirklich, Glis, dass sich der Beitrag rentiert hat! Zusammen ist doch alles leichter :grouphug: .

Zu 1:
Achso, jetzt wird mir einiges klar: ich hatte das einerseits andererseits auf das μέν δέ bezogen, das ja in der bildhaften Antithese Speer Stock zum Ausdruck kommt, du hast damit aber die parallelisierenden kopulativen Konjunktionen καί καί wiedergeben wollen. Das ginge auch, nur ist hier darauf zu achten, dass der Autor die Äquivalenz beider "Charakterzüge" betonen will, also vielleicht auch: sowohl- als auch, denn eine Steigerung i.S.v. nicht nur sondern auch oder eine Betonung des zweiten Gliedes (cf. cum-tum, sowohl x als auch besonders y) ist an dieser Stelle offenbar nicht beabsichtigt.

Zu 2:
ganz genau, nochmal in aller Deutlichkeit: das Imperfekt bezeichnet, wenn es iterativen Aspekt hat, eine gewohnheitsmäßige Wiederholung, diese ergibt sich rein aus dem Tempusstamm des Präsens.
Der Ind. Aor. mit ἄν dagegen ist ein Chamäleon, es kommt eben auf die Funktion der Modalpartikel an, die immer so etwas wie "unter den gegebenen Umständen, so manches Mal, allenfalls etc. bedeutet.
Er kann also den Irreales der Vergangenheit ebenso bezeichnen wie eine in der Vergangenheit liegende bloße Möglichkeit (man hätte erkennen können), also den Potentials der Vergangenheit oder eben die gelegentlich wiederholte Handlung in der Vergangenheit, Iterativus der Verg (er schlug manchmal zu).
Der Wiederholungsaspekt wird hier nicht durch den (an sich ja punktuellen) Aorist bedingt, sondern durch die Kombination mit dem nuancierenden ἄν.

Weiterhin viel Erfolg auf dem "Marsch" :klatsch:

LG
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Re: Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

Beitragvon Prudentius » So 29. Dez 2013, 11:07

εἴ τις αὐτῷ δοκοίη τῶν πρὸς τοῦτο τεταγμένων βλακεύειν, ἐκλεγόμενος τὸν ἐπιτήδειον ἔπαισεν ἄν


Wenn ihr schon so tief in das Geheimnis des Kondizionalen eindringt, möchte ich auch noch was beisteuern, aus logischer Sicht, und aus etwas allgemeinerer Perspektive.

Ein Irrealis ist nur in einer ganz bestimmten Situation möglich, und diese Situation ist hier nicht gegeben.

Ich veranschauliche es mal an unserem Beispiel und produziere einen Irrealis (auf D., der Bequemlichkeit halber). Ich greife einen ganz fleißigen Soldaten, Philippos, heraus: "Wenn dem Klearch Philippos faul erschienen wäre, hätte er ihn herausgeholt und geschlagen". Aber er tat es nicht, denn Ph. arbeitete nach Kräften.

Der oben zitierte gr. Satz ist allgemein, eine Verhaltensregel des Klearch, ein Gesetz, kann man sagen. Das Allgemeine wird durch das Indefinitum τις bezeichnet, und durch die iterative Satzform.

Der irreale Satz enthält hingegeben einen Bezug auf eine spezielle Person, hier unseren Philippos. Der Irrealis geht also vom Allgemeinen zum Besonderen über, und eben dadurch setzt er die allgemeine Form, die Regel voraus.
Ich hoffe, ich habe mich verständlich machen können; fragt nach, wenn nötig!


εἴ τις : der wandernde Akzent beim Enklitikum.

Guten Rutsch, lgr. P. :)
Prudentius
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Re: Kondizional-Gefüge mit Ind. Aor. + ἄν

Beitragvon Glis » So 29. Dez 2013, 14:34

Hallo Prudentius,
ich hatte schon darauf gehofft, dass du uns - ja nicht zum ersten Mal - mit einer Erwägung zum logischen Grundgerüst des Problemsatzes beispringst. Was du schreibst, ist verständlich und rundet die Sache gut ab, finde ich.

Schön auch, dass du dich an unser Wanderakzent-Thema erinnert und darauf hingewiesen hast.

Wohlige Jahreswende!
Gl.
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