ΕΛΛΑΣ W31

Für alle Fragen rund um Griechisch in der Schule und im Alltag

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Glis » Sa 29. Jun 2013, 23:06

Mein Übersetzungsversuch (Korrekturen sind hochwillkommen):

W31 Ein griechischer Buddhist

Menander war in Baktrien ein annehmbarer König gewesen, aber erst als er inmitten seiner Bürger gestorben war, konnte man sehen, wie viel wünschenswerter für die Herrschenden das Wohlwollen der Beherrschten ist als deren Furcht. Denn diese statten auf jeden Fall Dank für das Gute ab, das sie von jenen erfahren haben.
Menander erging sich nämlich in so großer Tugend, dass er nicht nur der Herrscher, sondern auch der Lehrer der Übrigen war; denn er glaubte, dass es sich für die Menschen gezieme, einander nicht zu hassen, sondern zu bewundern und einander alles zu geben, was jeder von ihnen selbst empfangen hat. Und da er bemerkte, welchen Nutzen der Krieg offensichtlich für die Menschen hat, klagte er voller Mitleid und trug schwer daran. Deshalb forderte er dazu auf, sich des Fleisches lebender Wesen zu enthalten, bemühte sich sehr um Frömmigkeit und ordnete an, sich vor Lehrer, Vater und Mutter zu schämen und sie auch zu bewundern, Freunde und Gefährten zu lieben und mit Sklaven möglichst wohlwollend umzugehen.
Deshalb übergaben die Städte, nachdem Menander gestorben war, seine Überreste in einer gemeinsamen Bestattung, begannen einen Wettstreit um seine Überbleibsel und gingen auseinander, nachdem sie von der Asche einen gleichen Anteil zugeteilt bekommen hatten; so entstanden bei allen Denkmäler von ihm.
Benutzeravatar
Glis
Consul
 
Beiträge: 298
Registriert: Sa 22. Dez 2012, 00:22
Wohnort: Nida

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Roxane » So 7. Jul 2013, 10:08

Bravo, liebe Glis, du machst es einem nicht leicht, noch Fehler zu finden. Über ein paar Kleinigkeiten könnte man noch einmal nachdenken:

- Als Meander in Baktrien angemessen (die Übersetzung des Adverbs (!) gefällt mir selbst nicht, aber auch im Langenscheidt-Wörterbuch finde ich nichts Besseres) geherrscht hatte...

- ...wäre es möglich gewesen zu sehen... (§ 71.2 griechisch Realis, deutsch Irrealis)
Darf man, wie du es getan hast, auch im Deutschen beim Realis bleiben, was hier ja schließlich einen Sinn macht?

- ....das Gute, das sie zu erfahren pflegten (§ 70.8 iterativer Verbalaspekt)

- ... bemühte sich ernsthaft um Ehrfurcht ...

- ... nachdem Meander gestorben war, das Andere (was ist hier gemeint?) zwar .....


Auf deine Meinung bin ich gespannt. Gruß Roxane
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Glis » Do 11. Jul 2013, 02:07

Hallo Roxane,
herzlichen Dank für deine sehr hilfreichen Anmerkungen.

Folgendes dazu noch von mir:

"... wäre es möglich gewesen, zu sehen ...": Danke für den Hinweis auf Paragraph 71.2. Der war mir bisher völlig entgangen! (Auf ihn wird im Vokabelteil von Lektion 100, wo er vorkommt, leider nicht direkt verwiesen, sondern nur hinten in der Hellas-Grammatik.) Ich denke, man kann die Stelle eigentlich nur als Irrealis übersetzen, denn Menander dürfte als König eben nicht "inmitten der Bürger" gestorben sein, sondern in seinem königlichen Palastumfeld.

Statt des nicht so recht zu Menanders Wirkungszeit passenden "Frömmigkeit" und des etwas unspezifischen "Ehrfurcht" (Ehrfurcht gegenüber wem?) könnte man vielleicht "Gottesfürchtigkeit" sagen.

Zum Ï„á½° μὲν ἄλλα, das ich zu übersetzen vergessen hatte: Ï„á½° ἄλλα bedeutet laut Langenscheidt auch "im Übrigen, außerdem". Damit dürfte deine Frage beantwortet sein.

Beste Grüße - so können wir weitermachen!
Benutzeravatar
Glis
Consul
 
Beiträge: 298
Registriert: Sa 22. Dez 2012, 00:22
Wohnort: Nida

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Roxane » Do 11. Jul 2013, 10:29

Hallo Glis,
Danke für dein feedback zu so nächtlicher Stunde. Es ist schön zu sehen, wenn eine Übersetzung durch hilfreiche Hinweise immer perfekter wird.

- Über Menander habe ich bei Wikipedia unter "Menandros (König)" eine kurze Passage aus Plutarchs Moralia gefunden. Demnach starb er, nachdem er gnädig (Langenscheidt = mild) regiert hatte, nicht in seinem Palast, sondern in seinem Lager. Ob Plutarch nun den Ort von Menanders Ableben verlässlich nennen konnte oder nicht, bei der daraus möglicherweise abzuleitenden Verwendung des Realis oder Irrealis werden sich wohl die Geister scheiden.
- Mein Gedanke bzgl. der Ehrfurcht war: Menander forderte dazu auf, Ehrfurcht vor allen Lebewesen zu haben, nämlich mit allen Menschen wohlwollend zu verkehren und auf den Verzehr von Fleisch zu verzichten.
- Danke für den Hinweis auf die richtige Übersetzung von "τά ἄλλα"!

Gruß Roxane
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Glis » Do 11. Jul 2013, 14:37

Sehr scharfsinnig, die Recherche der genauen historischen Umstände hilft bei so was oft weiter. Und in Sachen "Ehrfurcht" hast du vor dem Hintergrund der Menanderschen Ethik auch Recht.
Benutzeravatar
Glis
Consul
 
Beiträge: 298
Registriert: Sa 22. Dez 2012, 00:22
Wohnort: Nida

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Roxane » Fr 1. Nov 2013, 11:34

Guten Morgen, Glis,
ich weiß, diese Lektion hatten wir längst abgehakt, aber mir ist noch etwas aufgefallen. In L 116 hatten wir eine ellenlange Diskussion über den Gebrauch von Realis-Irrealis. Prudentius hat damals gute Überzeugungsarbeit geleistet, und deshalb meine ich, dass man die Wiedergabe von ἐξῆν in Zeile 2 besser so belassen sollte, wie du sie ursprünglich hattest, nämlich im Realis.

Hast du noch eine Idee, wie man das Ï„á½° ἄλλα (im Übrigen, außerdem, sonst) passend einbaut? Damit komme ich überhaupt nicht klar. Sinngemäß ist es doch so: Die Städte haben gemeinsam die Bestattung gefeiert (wieso <deshalb> und <im Übrigen>?). Aber es kam zu einem Streit um seine Überreste usw.

Gruß
Roxane
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Prudentius » Fr 1. Nov 2013, 21:53

Ich tappe zwar im Dunkeln, aber versuche, etwas zu erspähen.

Zum τὰ μὲν ἄλλα


das ist mit dem folgenden "ta de..." eine reine Hervorhebungsfloskel, ungefähr so:"Das eine ist zwar auch wichtig, aber ganz besonders wichtig ist...", also verdient weiter keine Aufmerksamkeit.

ἐξῆν


im Realis wiedergeben! Es ist aber eine reine Frage der d. Phraseologie, und es wird schon auch im Irrealis richtig verstanden. Beachtet, dass die Grammatik hier allein eine Empfehlung über die d. Wiedergabe enthält, eigentlich nichts über die gr. Grammatik.

sich vor Lehrer, Vater und Mutter zu schämen


Wohl eher "Scheu zu haben vor, Ehrfurcht zu haben vor, achten..."

Wettstreit um seine Überbleibsel


So nicht, entweder "um sein Erbe" oder "um seine sterblichen Überreste".

Lgr. P :)
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Glis » Sa 2. Nov 2013, 02:25

Hallo Roxane,
du machst es richtig, denke ich: Die gründliche Wiederbeschäftigung mit dem bereits Durchgenommenen festigt die altsprachlichen Synapsenbündel in der Großhirnrinde.

Zum Realis/Irrealis: Da wir ja einen Nebensatz mit Partizip vorliegen haben, ließe sich ein irrealer Sinn auch irgendwie herbeikonstruieren, aber wenn man von der Faktizität von Menanders Ableben inmitten seiner Bürger ausgeht, ist Realis doch plausibler.

Zum Ï„á½° ἄλλα, das dich plagt: Meine Erstübersetzung weist die Ungenauigkeit auf, dass ich "den gestorbenen Menander" nicht zum Objekt gemacht, sondern unangemessenerweise in einen Temporalsatz hineingewurschtelt und die "Überreste" gleich schon mal vorgezogen hatte.
Besser und genauer sowie mit τὰ ἄλλα:
Deshalb übergaben die Städte Menander, als er gestorben war, im Übrigen bei einer gemeinsamen Bestattung, begaben sich in einen Wettstreit um seine Überbleibsel ...

Das "deshalb" einfach im Anschluss an die Ausführungen im vorherigen Absatz: Weil er so ein vorbildlicher Tier- und Menschenfreund gewesen war, schätzten ihn alle und wollten ihn deshalb gemeinsam unter die Erde bringen etc.
Benutzeravatar
Glis
Consul
 
Beiträge: 298
Registriert: Sa 22. Dez 2012, 00:22
Wohnort: Nida

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Glis » Sa 2. Nov 2013, 02:30

Ah, eben erst Prudentius' Beitrag erspäht ...
Die pietätlos schallenden "Überbleibsel" stammen im Übrigen wortwörtlich aus der Vokabelliste zum Lektionstext.
Benutzeravatar
Glis
Consul
 
Beiträge: 298
Registriert: Sa 22. Dez 2012, 00:22
Wohnort: Nida

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Roxane » Mo 4. Nov 2013, 12:42

Hallo Ihr beiden,
da habt ihr schon wieder eine Menge erspäht, erörtert und verbessert. Letztlich ging es ja <nur> um eine angemessene Wiedergabe einiger Wörter.

αἰσχύνομαι in diesem Fall mit <ich schäme mich vor> zu übertragen, ist sicher nicht sinnvoll. In unserem Vokabelegister findet sich aber ausschließlich diese Bedeutung. Bei Langenscheidt heißt es zusätzlich <ich scheue mich>, Perseus gibt an <to make ugly, to disfigure>. Nach <Hellas> bedeutet αἱσχύνη u.a. <Schande>. Was soll man da rauspicken, vielleicht etwas wie <Schande bereiten>, <schlecht reden über>? Man weiß es nicht...

Zum letzten Satz mit seinen <Überbleibseln> oder besser <sterblichen Überresten>:
Jede Stadt bekam den gleichen Anteil seiner Asche. Und zuvor übergaben die Städte den Menander bei einer gemeinsamen Bestattung? Wenn seine Asche doch schon beigesetzt war (denn etwas anderes bedeutet <Bestattung> doch wohl nicht), wieso begann erst dann der Streit? Da war es doch schon zu spät. Ist vielleicht das παραδίδωμι nicht richtig wiedergegeben? Es hat so viele Bedeutungen, aber keine scheint mir so recht zu passen.
Und: Wenn das Ï„á½° μὲν ἄλλα nur eine Hervorhebungsfloskel ist, kann man es dann nicht auch unübersetzt lassen?

Aber vielleicht sollten wir uns darüber auch nicht weiter den Kopf zerbrechen. Das ein oder andere <Überbleibsel> an Ungereimtheiten wird wohl bleiben...

Seid gegrüßt!
Roxane
Roxane
Censor
 
Beiträge: 690
Registriert: Fr 4. Jan 2013, 14:27

Re: ΕΛΛΑΣ W31

Beitragvon Prudentius » Mo 4. Nov 2013, 21:32

Hallo,

Was soll man da rauspicken, vielleicht etwas wie <Schande bereiten>, <schlecht reden über>? Man weiß es nicht...


Sei nicht so pessimistisch :-D !

"αἱσχύνη" bedeutet, sich moralisch niedrig fühlen, das kann objektiv gemeint sein, Schande, wie wir auch sagen: Das ist eine Schande, wenn wir einen moralischen Mißstand meinen; und subjektiv, Scham, man fühlt sich moralisch niedrig in dem Sinn, dass man nicht getan hat, was geboten war (oder gewesen wäre, da ist wieder der Irrealis!). Und dann im Zwischenmenschlichen: Ehrfurcht, Achtung gegenüber jemandem, der über einem steht.

chairete,
P. :)
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01


Zurück zu Griechischforum



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste