von Sokrates » Fr 7. Feb 2014, 00:15
chairete,
warum ist Livius so viel schwerer zu übersetzen als Cicero, warum Tacitus als Cäsar?
Aus dem gleichen Grund, warum man sich anfangs auch möglicherweise leichter mit Xenophon und Platon als mit dem Thukydides tut.
Zum einen sind es die bedeutungsschweren Inhalte wie die von Prudentius angesprochene Pathologie, zum anderen ist es ganz einfach die Art, etwas zu schreiben, die Art, Sprache zu gebrauchen. Der Duktus des Historikers ist bemüht nach Variationen im Ausdruck und Inkonzinnität der Syntax, römische wie griechische Prosakünstler bauen die Sätze bewusst anders als die "Klassiker", nämlich unvorhersehbar. Menschen suchen zum einen nach Klarheit und transparenter Struktur, sind aber dann auch schnell gelangweilt und es findet ein "variety seeking" statt. Warum mögen wir Quadrate? Sie sind wunderbar einfach. Warum lieben wir Fünfecke, etwa im Pentagramm oder als "Stern"? Weil sie eben ein bisschen unberechenbar sind, aus der Hand nicht zu zeichnen. Warum ist Jazzmusik und dergleichen so beliebt? Weil uns Dynamik und Improvisation fesseln.
Wenn man nicht weiß, wie ein Autor einen Sachzusammenhang als Satz darstellt, nicht in einer breit ausmalenden Flügelperiode, die sich parallelisierend antithetisch entwickelt, sondern indem er Begründungen mal in Form einer präpositionalen Verbindung, mal als Gliedsatz oder Genitiv. abs. präsentiert oder ein Kolon unerwartet bricht oder nach Art des Anakolouth anders weiterführt.
Man muss viel Übersetzungsroutine, Grammatikfestigkeit und Kreativität mitbringen, um sich an solche Kaliber heranzutrauen, das steht außer Frage, ebenso wie unumstößlich feststeht, welches genuine Sprachtalent solch herausragenden Stilisten hat innewohnen müssen.
So viel meine pseudophilosophischen Philologenmeditationen zur Nacht, ich denke ihr wisst, was ich oben beschrieben habe. Auch wenn dieser Beitrag etwas blumiger formuliert ist, als ihr es von meinen anderen Beiträgen gewohnt seid, so kann man dieses Phänomen sicher treffender fassen.
LG
Sokrates