Anab. I.8.18

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Anab. I.8.18

Beitragvon Roxane » Fr 10. Jan 2014, 11:15

Einen schönen guten Morgen und ein besonders gutes Neues Jahr euch allen!

Im folgenden Anabasis-Satz findet sich ein Aorist, ein Präsens, ein Imperfekt:
<Καὶ ἅμα ἑφθέγξαντο πάντες, οἷον τῷ Ἐνυαλίῳ ἐλελίζουσι, καὶ πάντες δὲ ἔθεον.>

Mein Vorschlag:
<Und zugleich begannen alle laut zu rufen/ erhoben ein großes Geschrei (=ingr. Verbalasp.), wie sie zu Ehren des Enyalios einen Schlachtruf erhoben, und alle liefen los.>
evtl: <........und alle wollten loslaufen (=kon. Verbalasp.).>

Carleton/Brownson will es so: <they set up the war-cry>...<and began running>.

1. Würde das <began running> im Griechischen nicht einen Aorist erfordern?
2. Spricht etwas dagegen, das ἐλελίζουσι mit <wie sie ...zu erheben pflegten> oder <wie sie...ihn gewöhnlich erhoben> (=iter. Verbalasp.) wiederzugeben?

Auf eure Antwort freut sich
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Re: Anab. I.8.18

Beitragvon Sokrates » Fr 10. Jan 2014, 15:26

Chaire,

nunja, das ist schwierig. Der iterative Aspekt ist gut und richtig, auch für den Deutschen nachvollziehbar.
Im Falle des ἔθεον aber könnte man durchaus den Aorist erwarten, sofern man den Grundaspekt zum Ausgangspunkt hat. Dass man sich jedoch nicht timmer sklavisch daran halten kann, da die griechischen Autoren eine sehr komplexe Verwendungsweise der Tempora, gerade der Vergangenheit, ausgebildet haben, beweist genau diese Form, die (wie andere Bewegungsverben) im Imperfekt steht, wo man per Definitionen einen Aorist erwarten würde, cf. Bormann-Risch § 214, 2, Anm. 1 !!.

LG
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Re: Anab. I.8.18

Beitragvon Glis » Sa 11. Jan 2014, 01:59

Hallo Roxane,
zur Aufhellung kann ich nichts weiter beitragen (vielleicht weiß der - mir im Zuge unserer bisherigen Studien als weitaus bestinformiert erscheinende - alte Kühner was dazu zu sagen?). Ich möchte aber gerne meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass du mit großen Schritten die Anabasis voranzumarschieren scheinst. Vielleicht holst du mich doch bald ein (bin gerade am Anfang von Buch III angelangt).

Ahoi ahoi!
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Re: Anab. I.8.18

Beitragvon Prudentius » Sa 11. Jan 2014, 18:02

<Καὶ ἅμα ἑφθέγξαντο πάντες, οἷον τῷ Ἐνυαλίῳ ἐλελίζουσι, καὶ πάντες δὲ ἔθεον.>


Ich kann mir das Imperfekt am Schluss gut vorstellen: als unabgeschlossene, lang andauernde Handlung, im Gegensatz zum Aotist am Anfang, der Schlachtruf, punktuelle Handlung.
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Re: Anab. I.8.18

Beitragvon Sokrates » Sa 11. Jan 2014, 18:49

Ja, das stimmt, jedoch:
Es herrscht hier eine Übereinstimmung von Aktionsart, einer lexikalischen Dimension, denn die Semantik von laufen ist nun mal durativ, und Aspekt, dem linearen Im-perfekt.
Genau genommen müssten sich die Krieger also in einer Art langem Lauf, gewissermaßen einem Dauerlauf, befinden. Dies würde entweder eine lagen Strecke oder eine lange Zeit des Laufens an sich bedeuten und somit den Grundaspekt der Linearität verdeutlichen. Ein Ritus ist es auf keinen Fall, auch kein Versuch, denn sie stürzen sich ja direkt mit Gebrüll in den Kampf. Und das ist der Punkt:
Zwischen einem Brüllen und einem langen lauf müsste das "Loslaufen" im Aorist stehen, aber nichts dergleichen. Denn so ist diese Verbform an dieser Stelle nicht verwendet und nicht zu verstehen, vielmehr will Xenophon das affektierte Losstürmen beschreiben. Das Imperfekt malt also nicht aus, indem es einen Nebenumstand beschreibt, sondern treibt die Haupthandlung maßgeblich voran. Sieht man das Laufen nur als Faktum, würde es dem Grundaspekt des Puntkuellen, den der Aorsit inne hat, entsprechen, würde man ein Losbrechen meinen, dann wäre es sogar der Spezialaspekt des Ingressiven, der hier wirksam wäre. In jedem Fall aber scheint das Imperfekt hier ganz im Sinne eines Aorist zu interpretieren zu sein, was man vielleicht als narratives Imperfekt (wie bei anderen Verben, die keine Bewegung ausdrücken, der narr. Aor. und das lateinische Perfekt).

Soweit meine Ansicht,

LG
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Re: Anab. I.8.18

Beitragvon Roxane » Mo 13. Jan 2014, 14:52

@ Prudentius
Im Prinzip ist es natürlich genau so, wie du sagst: Die Formen des Aoriststammes bezeichnen einen Vorgang als Faktum, also eine in sich abgeschlossene momentane Aktion. Die Formen des Präsensstammes schildern den Vorgang in seiner Entwicklung, ohne dass ein Ende abzusehen ist, also eine durative Aktion.
Nun ja, wie lange die mehr ode weniger schwer bewaffneten Soldaten damals laufen konnten, sei dahin gestellt. Wie auch immer, Kühner schreibt, dass die Ausdrücke momentan und durativ auch nicht unbedingt so zu verstehen sind, als ob der Aoriststamm immer eine Handlung von kurzer Dauer, der Präsensstamm eine solche von langer Dauer bezeichnete. Vielmehr wird <die aoristische Handlung vom Anfangs- bis zum Endpunkt überschaut, um dann zusammengedrängt in einen Moment zu erscheinen. Die präsentische Handlung (die durchaus von kurzer Dauer sein kann) entfaltet sich vor uns, ohne dass der Endpunkt in den Gesichtskreis tritt.>

@ Sokrates
Das <set up the war-cry...and began running> hört sich in der Tat eher so an wie <auf ihn mit Gebrüll>.
Dass die Zeitformen in einer historischen Erzählung wechseln, ist ja nichts Ungewöhnliches. Normalerweise beschreibt der Aorist die Hauptereignisse, die übrigen Zeitformen dagegen Nebenhandlungen und begleitende Umstände (vgl. Kühner § 386.7) Allerdings kann ich mir ebenso wie du gut vorstellen, dass das ἕθεον hier gar keinen Nebenumstand bezeichnen soll. Vielmehr dürften die Soldaten ein Kriegsgeschrei erhoben haben und gleichzeitig losgestürmt sein. Gemeint ist sicher weder ein langer Lauf (linear) noch ein Versuch zu laufen (konativ) noch ein Ritus (iterativ).
Leider habe ich den Bornemann-Risch nicht, aber durch deinen Hinweis auf die Verben der Bewegung bin ich auf § 383.3 bei Kühner gestoßen:
<Dieser Gebrauch (des Imperfekts statt des Aorists) findet sich besonders häufig in der homerischen Sprache bei Verben wie βαίνειν, ἱέναι, ἱστάναι....und in der Prosa bei den Verben des Schickens und Gehens...>
Warum also sollten wir das ἕθεον in unserem Satz nicht mit <begannen zu laufen/ liefen los> (ingressiv)
wiedergeben?!

@ Glis
Nein, auf der Überholspur bin ich noch lange nicht.....

Habt schönen Dank und seid gegrüßt!
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