Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

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Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

Beitragvon Glis » Sa 30. Nov 2013, 23:19

Liebhaber/-innen der Hellenenzunge,

die Wortelemente aus dem Betreff, die mein heutiges Problem ausmachen, haben wir schon mal im "Dativ-Klumpen"-Kapitel begutachtet.
An diesem letzten Novembertag geht es um folgenden Xenophon'schen Anabasis-Satz, und zwar um den Vorderteil. Thema: Kyros' Umgang mit Geschenken, die er erhält (Xen. Anab. 1.9.22, http://www.perseus.tufts.edu/hopper/tex ... ction%3D22):

δῶρα δὲ πλεῖστα μὲν οἶμαι εἷς γε ἀνὴρ ἐλάμβανε διὰ πολλά: ταῦτα δὲ πάντων δὴ μάλιστα τοῖς φίλοις διεδίδου, πρὸς τοὺς τρόπους ἑκάστου σκοπῶν καὶ ὅτου μάλιστα ὁρῴη ἕκαστον δεόμενον.

Eine naive Annäherung à la Glis klingt so:
"Sehr viele Geschenke, glaube ich, erhielt er wohl als Einzelner/als einzelner Mann aus vielen Gründen:"

Die gedruckten Übersetzungen bauen da jeweils ein Vergleichsverhältnis ein. Worauf stützt sich das?

Zum Beispiel Oberbreyer:
"Geschenke bekam wol, wie ich glaube, Niemand so viel, als er, wozu der Veranlassungen gar viele waren;"

Brownson:
"Again, he received more gifts, I presume, than any other one man, and for many reasons;"

Ich würde für einen Vergleich einen Komparativ + Genitiv erwarten.
Wenn ich πλεῖστα hier als Adverb mit der Bedeutung "meistens" verstehe, bin ich auch nicht schlauer.
Wer weiß Rat?

Wohligen Sonntag!
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Re: Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

Beitragvon Prudentius » So 1. Dez 2013, 10:39

Hallo Glis,

Superlativ und Komparativ sind (teilweise) austauschbar, vgl. "9 ist die größte einstellige Zahl" = " 9 ist größer als die anderen...", hier "Er erhielt mehr Geschenke als andere" = "Er erhielt die meisten Geschenke...", es spielt keine Rolle, dass πλεῖστα hier Elativ ist, oder prädikativ, "sehr viele". Es sind "äquivalente Umformungen", logisch-mathematisch ausgedrückt.

Im D. kommt eben der Gegensatz "einer - viele" besser mit dem Komparativ heraus; der Genitivus (partitivus) muss nicht unbedingt dabeistehen, δῶρα δὲ πλεῖστα geht genauso, da ist die nötige Menge durch das regierende Substantiv bezeichnet.

πλεῖστα hier als Adverb mit der Bedeutung ...


Nicht zu empfehlen, es kongruiert ja mit δῶρα.

Ich hoffe, etwas zur Klärung beigetragen zu haben, frag aber ruhig weiter,

lgr. P. :)
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Re: Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

Beitragvon Medicus domesticus » So 1. Dez 2013, 10:45

Χαῖρε Glis,
Genau dieser Satzteil ist unter εἶς im Gemoll angegeben mit der Bemerkung: beim sup. zur Hervorhebung...
Im Deutschen könnte man das auch so machen, dass man betont:
Ein (oder auch: ein einziger) Mann bekam aber aus vielen Gründen, glaube ich, sehr viele/die meisten Geschenke ...

Daraus kann man dann auch die freieren Übersetzungen machen, nämlich: niemand bekam so viele als er ...usw.

Gruß, Medicus
...und einen schönen 1. Advent:

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Re: Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

Beitragvon Sokrates » So 1. Dez 2013, 10:53

Χαίρε,

nunja, das πλεῖστα ist ebenso klar ein Superlativ wie es Adjektiv-Attribut zu Geschenke ist. (Über die Möglichkeit, ein Besitzverhältnis, etwa bei ἕχω, mit einem Akkusativobjekt und darauf bezogenen Adjektiv als Prädikativum, nicht als Attribut, darzustellen, cf. etwa τὸ σῶμα ἕχω κράτιστον= ich habe den Körper als (den) stärksten (Artikel fehlt beim Prädikativum, also Superlativ) und auch ich habe den Leib als einen "bärenstarken" (unbestimmt, Elativ), und eine ähnliche Konstruktion auch bei "Empfangen" zu vermuten, sei hier geschwiegen, zumal da sich daraus keine Vereinfachung des Problems ergäbe.).

Zu diesem Objektskomplex trifft man im Satz auf die schon hinreichend diskutierte Phrase εἷς γε ἀνὴρ (alternative Übersetzungen siehe dort.). Diese ist wohl ebenfalls prädikativ aufzufassen, und damit ergibt sich eine gedankliche Einheit, die man in verschiedenen Sprachen auf verschiedene Weise ausdrücken kann. Er erhält sehr viele Geschenke. Er ist diesbezüglich ausgezeichnet.
-> Er erhält für einen einzelnen Mann (restriktiv) überaus viele Geschenke.
oder: Er erhält als einziger Mann (derartig) viele Geschenke.
-> Er erhält als einzelner Mann sehr viele Geschenke.
Ersetzt man den Elativ durch Superlativ:
-> Er erhält die meisten Geschenke als e i n Mann.
auch: Er erhält als einzelner Mann, für ein Individuum betrachtet, die meisten Geschenke.

Das Griechische (zumindest dieser Sprachart, dieses Autors, dieses Duktus) entscheidet sich für den Superlativ, wo man im D auch gerne einen Komparativ nimmt:
Er erhält für einen Mann die meisten Geschenke ist äquivalent zu Er erhält mehr Geschenke als jeder andere (für sich betrachtet).
Für uns mag, und darauf kommt es in einer Übersetzung ja an, die zweite Version klarer zum Ausdruck bringen, wovon Xenophon seine Leser mit einer anderen Formulierung überzeugen will, nämlich beispielsweise der Ehrfurcht vor Kyros.
Im Original steht natürlich nichts von einem Komparativ, rein formal ließe er sich nicht begründen, wohl aber stilistisch.

Ähnlich unterschiedliche Sprachauffassungen beim Vergleich begegnen uns ja schon im Lateinsichen:
amor, qua nihil dulcior videtur= die Liebe, im Vergleich zu der nichts angenehmer erscheint.
Man würde sicherlich aber besser umformen: die Liebe, das offensichtlich Angenehmste überhaupt...
Hier haben wir die Verhältnisse von Komparativ und Superlativ aus dem obigen Beispiel aus der Ananbasis zwar invertiert, aber der Grundgedanke der unterschiedlichen Auffassung und Darstellung in beiden Sprachen bleibt derselbe.

LG
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Re: Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

Beitragvon Sokrates » So 1. Dez 2013, 10:54

-
Zuletzt geändert von Sokrates am So 1. Dez 2013, 11:35, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

Beitragvon Sokrates » So 1. Dez 2013, 10:56

oh, es eilen mir die fleißigen Foristen voraus, sie haben alles schon gesagt, verstehe meinen Beitrag als Nachtrag. :o

Euch allen auch einen schönen ersten Advent!!
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Re: Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

Beitragvon Medicus domesticus » So 1. Dez 2013, 11:25

Dir auch, Sokrates! :-D
Du warst anscheinend so begeistert, dass du sogar einen Doppelpost hingelegt hast.. :ironie:
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Re: Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

Beitragvon Sokrates » So 1. Dez 2013, 11:40

:D Das muss an der Euphorie der Weihnachtszeit, weniger an unserem Xenophon gelegen haben... :huepf:
(der grundsympathische Ironiesmiley würde das hier überfrachten, denkt ihn euch ;)

p.s. wo ist denn der Button zum Löschen bloß hin?

LG
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Re: Komparativ-Aporie: πλεῖστος / εἷς ἀνήρ

Beitragvon Glis » So 1. Dez 2013, 15:25

Ich danke euch allen für die freundlichen Erläuterungen. Werde nachschauen, ob hinter meinen Ohren noch Platz ist, und mir das Erklärte dorthin schreiben. Schön, dass ich bei meiner privaten Anabasis-Lektüre auf eure Unterstützung zählen kann.
Angenehme Vorfeiertage!
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