Selbstbehauptungsenergien.

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Selbstbehauptungsenergien.

Beitragvon Laptop » Mi 9. Jan 2013, 12:04

Sloterdijk sagt: «Das Wort Thymos bedeutet zunächst einmal nichts anderes als all die Gruppe von Affekten, die mit der Selbstbehauptung, mit dem Eigenwert einer Persönlichkeit zu tun haben. Das heißt das sind die Selbstbehauptungsenergien; für die schlägt die Tradition – bei uns – üblicherweise das Wort „Stolz“ vor.»

Werte Griechischfreunde, Herr Sloterdijk muß sich irren? Thymos wird oft als “Lebenskraft” angegeben. Man kann nun darüber streiten, ob nun “Lebenskraft” treffend ist, oder vielleicht vielmehr en. “drive” oder oder. Was aber Sloterdijk beschreibt ist etwas ganz anderes. Mir scheint er beschreibt den Begriff “Ego”. Wie seht ihr das?
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Re: Selbstbehauptungsenergien.

Beitragvon Laptop » Fr 11. Jan 2013, 02:28

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Re: Selbstbehauptungsenergien.

Beitragvon Prudentius » Fr 11. Jan 2013, 18:32

Über Sloterdijk habe ich mir noch nie den Kopf zerbrochen, und die Formel "bedeutet ... nichts anderes als" weist auf Reduktionismus hin, ist mir nicht sympathisch, und Thymos ist ein arg vages Thema, bezeichnet irgendwie das Innere, Psychische, Emotionale, schwer, darüber etwas Bestimmtes zu sagen; thymos, etymologisch mit fumus verwandt, ist die Lebenskraft, ähnlich wie animus. Stolz ist für uns aber negativ behaftet, das ist eine Schwäche, Überheblichkeit, die Psychologie hat darüber unter dem Stichwort "Narzissmus" allerhand ermittelt.
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Re: Selbstbehauptungsenergien.

Beitragvon Laptop » Fr 11. Jan 2013, 19:38

Freue mich über deine Beteiligung am Thema. Das Reduktionistische ist vielleicht damit zu entschuldigen, daß er das nicht schriftlich, sondern mündlich so gesagt hat, ich habe es aufgeschrieben. Lebenskraft ist schon ganz etwas anderes wie Stolz, deshalb kann ich mir seine Deutung nicht erklären. Vielleicht gibt es ja noch andere Stimmen. Danke erstmal.
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Re: Selbstbehauptungsenergien.

Beitragvon consus » Fr 11. Jan 2013, 21:02

Vermutlich geht S. in seinem Buch Zorn und Zeit (welch ein Titel!) auf den Begriff θυμός ein (svw. das Zornmütige, das Muthafte; bei Platon zu den 3 Seelenteilen zu zählen: logistikón - Vernunft, thymoeidés - Mut, epithymetikón - Begierde). Ohne Kenntnis dieses Buches und damit des Zusammenhangs, in dem dieser Terminus verwendet wird, werde ich mich mit einer Äußerung zurückhalten.
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Re: Selbstbehauptungsenergien.

Beitragvon Laptop » Sa 12. Jan 2013, 04:14

@consus Sloterdijks Aussage ist recht deutlich und allgemein gehalten “Das Wort Thymos bedeutet …”, daher kann man denke ich hier nichts aus dem Kontext reißen oder mißverstehen. Übrigens deutet Eisler diese drei Begriffe etwas anders: PLATO unterscheidet drei Teile … der Seele: nous, thymoeides, epithymêtikon. Intellect, Willensenergie, Affect und Begehren (Quelle: http://www.zeno.org/Eisler-1904/A/Seelenverm%C3%B6gen) Damit ist Thymos bei Eisler – um es mal lateinisch zu sagen – näher an voluntas (Wille) als an fortitudo (Mut i. S. v. Starkmut). Vielleicht mäandert auch Eislers Deutung um die Wahrheit und die Wahrheit liegt als “mutiger Tatendrang” irgendwo in der Mitte zw. voluntas und fortitudo. Nichtsdestoweniger ist Stolz ein ganz anderer Planet. Stolz kann sich m. E. (z. B. im Vater eines Wunderknaben wie Mozart) passiv ohne jede Art von innerem Antrieb (en. drive) und sogar gepaart mit durch Zufriedenheit hervorgerufender Trägheit bemerkbar machen: mein Sohn ist ein Wunderknabe, ich bin sehr stolz auf ihn, ich habe Anteil am Verdienst seiner Fähigkeiten. Damit fehlen dem Stolz die Eigenschaften von Thymos.
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Re: Selbstbehauptungsenergien.

Beitragvon consus » Sa 12. Jan 2013, 14:52

Übrigens deutet Eisler diese drei Begriffe etwas anders
Das scheint nur so zu sein. Einen solchen Begriff mit möglichst wenig Worten zu umschreiben ist kaum möglich. Windelband, um nur einen weiteren deutschen Erklärungsversuch zu präsentieren, spricht vom "Vernünftigen" (logistikón), der "affektvollen Willenskraft" (thymoeidés) und der "sinnlichen Begehrlichkeit" (epithymetikón) (vgl. Lehrb. d. Gesch. der Phil., 13. Aufl. Tübingen 1957, S. 106).
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Re: die Seele

Beitragvon Prudentius » Mi 16. Jan 2013, 10:37

Ich glaube, wir müsen den Verständnisrahmen sehr viel weiter ziehen, wenn das Seelische hereinspielt, es geht nicht um ein paar Wortbedeutungen, die Frage ist, ob wir die Seele immanent, im Sinne der modernen Naturwissenschaft, als Funktion des Nervensystems verstehen sollen, oder transzendent, als etwas Überindividuelles, und damit Unsterbliches, wie in der langen Tradition des Abendlandes, Pythagoräer, Platon, bes. Phaidon, Neuplatoniker, Christentum.
In der Frage gibt es eine große Vielstimmigkeit, in unserer Wissenschaft ist zu erwähnen Erwin Rohde "Psyche -Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen", gegen Ende des 19. Jh. erschienen, Verf. gehörte zum Kreis um Nietzsche und Wagner, das Buch hat hohe Wellen geschlagen; dann kam bald die Psychoanalyse auf, Freud war zwar Empirist, aber sein "Unbewusstes" wirkte gegen seinen Willen als Inspiration für eine überindividuelle Schicht in der menschlichen Seele; C.G. Jung ging in dieser Richtung weiter.
Heutzutage findet "Chigong" großen Anklang, chi ist die allgemeine Lebensenergie, die wir in unsere individuelle Seele einfließen lassen können.
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Re: Selbstbehauptungsenergien.

Beitragvon Laptop » Mi 16. Jan 2013, 11:37

@consus @Prudentius Danke für die Beiträge. Im Altertum ging es etwas rauher zu als heut, das gemeine Volk las keine Bücher, philosophierte nicht, sondern es ging um den Alltag und das Überleben, daher unterstelle ich eine gewisse handfeste (konkrete) Urbedeutung von gr. Thymos. Selbst lt. virtus war zu alter Zeit nicht die abstrakte “Tugend”, sondern die konkrete “Tatkraft”, d. h. umgehend und bestimmt zu handeln, wenn ein Problem auftritt, ganz wie ein Mann, der gleich die Ärmel hochkrempelt wenn eine Reparatur ansteht (vgl. Gerhard Schröder mit seinen symbolisch hochgekrempelten Hemdsärmeln um Tatkraft zu suggerieren). Und in diesem Rahmen bezweifle ich eine eher philosophische bzw. esoterische Auffassung des Wortes, wie es z. B. das Wort “Chi” ist. Um den Bogen zurückzuspannen: Stolz jedenfalls kann es doch nicht sein?
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